Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr A 2014 (Philipperbrief)

Zurück zur Übersicht von: 25. Sonntag Lesejahr A

21. September 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Situationsbeschreibung

  • Die Heilige Schrift wird lebendig, wenn sie mit unserem eigenen Leben in Beziehung kommt. Daher möchte ich eine Situation konstruieren und schauen, was Glauben dort bedeuten könnte. Vielleicht hilft Ihnen das, die Botschaft der Bibel auf Ihr Leben zu übertragen.
  • Stellen Sie sich vor, Sie haben haben ein Projekt gestartet, das einem guten Zweck dient. Als guter Deutscher haben Sie dafür einen Verein gegründet. Das Projekt läuft richtig gut und dient einer richtig guten Sache. Deswegen arbeiten viele Leute mit, darunter manche, die Ähnliches zuvor schon einmal selbst versucht hatten. Aber jetzt arbeiten sie bei Ihnen mit, genauso wie viele andere, die von der Sache wirklich überzeugt sind.
    Natürlich haben Sie sich dadurch auch Gegner gemacht. Sie engagieren sich gegen Unrecht. Andere profitieren davon. So ist das eben. Auch deswegen werden Sie auf einmal schwerer finanzieller Vergehen beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft untersucht den Fall. Sehr schnell stellt sich heraus, dass Sie zu Unrecht beschuldigt worden sind. Sie sind einfach mit Ihrem Engagement mächtigen Leuten in die Quere gekommen. Aber der Fall muss noch in Ruhe untersucht werden und so lange sind Sie von allen Aufgaben in Ihrem Projekt suspendiert.
  • Wie gingen Sie als gläubiger Christ mit einer solchen Situation um? Das Projekt ist Ihr Leben. Deswegen nehmen Sie solche Beschuldigungen in Kauf. Sie stehen mit Ihrem guten Namen für das Projekt. Zugleich aber gibt es die anderen, die das Projekt weiterführen, solange Ihnen selbst die Hände gebunden sind. So wird deutlich, es geht um dieses Projekt und dieses Gute, das dort verwirklicht werden soll.
    Paulus würde hier von Leben sprechen. Wenn Sie sich als Christ in der Kraft des Heiligen Geistes engagieren, lebt Christus in Ihrem Engagement. Und jeder, der das weiterführt, während Ihnen die Hände gebunden sind, ist für Sie ein Stück Leben. Lebendigkeit von Gott.
    Aber es gibt eben auch die Anderen. Es sind die, die dasselbe schon vor Ihnen probiert hatten, aber gescheitert waren. Auch sie führen jetzt Ihr Projekt fort. Aber es geht ihnen nicht mehr um das Projekt. Zwar führen auch die Neider das Projekt fort, aber sie vergiften es. Und Ihnen sind die Hände gebunden, so lange die Staatsanwaltschaft gegen Sie ermittelt.
    Das ist die Situation, die so vielleicht aktuell bei uns möglich ist, und die in etwa der Situation entspricht, in der sich Paulus damals befunden und in der er den Brief an die Philipper geschrieben hat, aus dem wir als Lesung gehört haben. Wie Paulus können wir heute solche Situationen erleben - mit Erfahrungen von Trost, aber auch mit Anfeindung und Destruktion.

2. Leben und Sterben

  • Paulus formuliert einen großartigen, wuchtigen und wichtigen Satz. Der Satz kann unser ganzes Leben verändern, weil durch ihn klar wird, warum die Taufe alles verändert. "Für mich ist Christus das Leben, und Sterben (ich ergänze: ebenfalls) Gewinn."
  • Wer Paulus kennt, der weiß: Mit "Leben" ist bei ihm alles gemeint, was lebendig macht und leben lässt. Und umgekehrt ist mit Sterben alles mit gemeint, was geeignet ist, vom Leben abzuschneiden: alles, was Leben hindert, es täglich oder gar endgültig nimmt. Alles das wird bei Paulus immer zusammen gesehen. Für ihn bedeutet Christsein, täglich bewusst in den kleinen wie in den großen Dingen zu sterben und aufzuerstehen.
    Täglich lebe ich in einer Welt, in der es mir geschenkt ist, Liebe zu schenken und Liebe zu erfahren; Auferstehung. Aber auch das Gegenteil: Täglich stoße ich an Grenzen, in mir selbst und von außen. Vor allem stoße ich auch auf die Grenzen der Schuld, wo ich etwas schuldig bleibe, wo ich schuldig werde oder wo ich erleben muss, wie Unrecht anderer und Unrecht von Strukturen dem Leben den Atem nimmt; Sterben, oft auch schmerzhaftes, manchmal auch ungerechtes, unbegreifliches Sterben.
  • Konkret ist Paulus im Gefängnis, wartet auf seinen Prozess, wobei der Freispruch wegen offensichtlicher Fehlanklage wahrscheinlich ist. Für ihn ist die Erfahrung überwältigend, mit wie viel Engagement andere seine Arbeit in der Gemeinde fortführen. Das ist für ihn Leben. Hier spürt er die Kraft Christi, den Heiligen Geist.
    Umgekehrt scheint es dort, wo er mit ansehen muss, dass Leute aus Egoismus und Engstirnigkeit sein Werk in das Gegenteil verkehren - und er kann nichts dagegen tun. Gerade deswegen ist es entscheidend, ob er sich durch solches "Sterben" von Christus trennen lässt.

3. Gewinn in Christus

  • Wie kann man in so einer Situation auch das Negative, den Widerstand und die Destruktion, die einem entgegen schlägt, als "Gewinn"bezeichnen? Denn objektiv ist doch "Sterben" ganz sicher nicht "Gewinn". Egoismus und Unrecht sind kein "Gewinn". Und dennoch macht Paulus die ganz persönliche Erfahrung im Glauben: "für mich", d.h. für ihn kann selbst das "Gewinn" sein.
    Diese Entdeckung bewahrt ihn davor, bitter, hart oder gar rachsüchtig zu werden. Vielmehr kann er (wohl auch gefördert durch die Gefangenschaft, die ihm viel Zeit zum Beten lässt) selbst solches noch als echten Gewinn "für mich" erfahren.
  • Der Schlüssel ist die ganz persönliche Beziehung zu Christus. Ohne das bleibt Christsein abstrakt, bestenfalls Regelerfüllung. Aus der gelebten Nähe zu Jesus, dem Christus, spüre ich jedoch mit dem, was mir an täglichem Sterben auferlegt ist, die Nähe zu ihm, der in unbegreiflicher Liebe gestorben ist.
    Wer dann die Erfahrung macht, wie lebendig Christus gegenwärtig ist, ahnt auch was Auferstehung bedeutet. Zeichenhaft im Gebet, in der Feier der Kirche. Ganz real, wo immer Christen aus der Kraft Christi Liebe schenken, ohne sich Gegenliebe erhoffen zu können. Mystisch, wo Menschen in Meditation und Kontemplation sich Gott ganz nahe erfahren. Immer dort baut sich eine Beziehung zu Christus auf, in der Christus das Leben ist und sogar Sterben noch Gewinn, weil es in Gemeinschaft mit ihm geschieht.
    Denn ebenso wie in jedem Akt der Liebe ist Christus immer dort gegenwärtig, wo Menschen das täglich annehmen, was ihr Kreuz ist. Das ist keine schwächliche Haltung, sondern kraftvolles Vertrauen, dass der Gekreuzigte auferstanden ist.
  • Paulus weiß, dass seine gegenwärtige Gefangenschaft auch tödlich enden könnte. Die Macht der Herrschenden ist nicht berechenbar. Aber gerade im Blick auf so ein Extrem spürt Paulus, wie kraftvoll, voll Leben sein Glaube ist: Für ihn ist Christus das Leben und auch noch Sterben Gewinn. Amen.