Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 23. Sonntag im Lesejahr C 2013 (Weisheit)

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8. September 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Paradox

  • Das wirklich Wertvolle gering achten und darauf verzichten. Was mir das Wichtigste ist, loslassen. Das klingt nicht nur paradox, das ist paradox. Wenn wir aber diese Spannung nicht aushalten, stehen wir in Gefahr, das wirklich Wertvolle nicht nur zu verlieren, sondern es sogar zu zerstören.
  • Dieses Paradox auszuhalten ist die Weisheit, von der die Bibel spricht.Die Weisheit verwechselt nichts, was geschaffen ist, mit dem Schöpfer. Doch zugleich ist diese Weisheit fähig, alles im Licht des Schöpfers zu sehen. "Welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift, was der Herr will? Unsicher sind die Berechnungen der Sterblichen und hinfällig unsere Gedanken."
  • In vielen christlichen Familien gibt es die Tradition, dass die Eltern ihre Kinder abends vor dem Zubettgehen schweigend mit einem Kreuzzeichen auf die Stirn segnen. Später, wenn die Kinder größer sind, segnen die Eltern sie, wenn sie aus dem Haus gehen. Das Schweigen bei diesem Familienritus wahrt das, was wir Christen ein Geheimnis nennen: die paradoxe Unbegreiflichkeit Gottes im ganz Begreiflichen. Im schweigenden Segnen des Kindes drückt sich sowohl das Loslassen aus, wie aber auch, dass die Eltern ihr Kind ganz Gott anvertrauen - und in Gott tiefer mit ihrem Kind verbunden sind, als sie es auf andere Weise je könnten.

2. Gering achten

  • Der kleine Segensritus in der Familie kann Eltern und Kinder in eine Spiritualität hineinführen, die ihre Kraft aus dem Paradox des Glaubens zieht. Ganz loslassen, ganz Gott anvertrauen, im Anbruch einer jeden Nacht, im Annehmen des Abschieds.
  • Den vielen, die hinter ihm herlaufen, sagt Jesus: "Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.." Sein Jünger zu sein bedeutet, ganz praktisch von ihm zu lernen, das ganze Leben aus dem Vertrauen in Gott - aus dem Glauben - zu vollziehen. Das aber beginnt damit, alle Sicherheiten loszulassen, alles Selbstverständliche fraglich werden zu lassen, ja sogar an sich selbst zu zweifeln - So allein, sagt Jesus, könne man in seiner Nachfolge Gott finden.
  • Achtet eine Mutter ihr Kind gering, wenn sie es segnend Gott anvertraut? Ganz sicher nicht. Aber vielleicht wird durch den allabendlichen Ritus erfahrbar, dass dieses Kind nicht 'für etwas' da ist, dass es seinen Wert nicht als Funktion für andere hat, auch nicht für seine Eltern. Jesus fordert das "gering achten" von "Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern" und dem "ganzen Besitz", damit all das, was diese Menschen und Dinge 'für mich' sind, zerbricht und mir genommen wird, wie ihm am Kreuz.

3. Im Licht Gottes

  • Das Buch der Weisheit aus dem Alten Testament spricht nicht nur von der Unerforschlichkeit Gottes und seiner Gedanken. Im Gegenteil will es auf den geistlichen Pfad führen, die Dinge dieser Welt, die Menschen und mich selbst neu sehen zu lernen. "Wer hat je deinen Plan erkannt, wenn du ihm nicht Weisheit gegeben und deinen heiligen Geist aus der Höhe gesandt hast? So wurden die Pfade der Erdenbewohner gerade gemacht, und die Menschen lernten, was dir gefällt; durch die Weisheit wurden sie gerettet."
  • In jeder Heiligen Messe zelebrieren wir den heiligen Tausch: Das schlichte Brot wird zum Himmel gehoben und wir rufen Gottes Geist über unsere Gaben herab. So wird uns in dem, was wir im dankenden Lobpreis als Opfergabe bringen, Gottes Gegenwart im Leib Christi, der zerbrochen wurde, damit wir Anteil haben an ihm. Der Kultus der Heiligen Messe in seinen Worten und Gesten verweist damit auf den Weg der Nachfolge Christi.
  • Die Verheißung dieses Weges ist, dass wir alles, was wir so hingeben, die Welt, die Menschen, die uns wertvoll sind, und unser eigenes Leben auf neue, unzerstörbar heilige Weise wieder bekommen. In eigener Erfahrung habe ich nur den äußersten Saum dessen berührt, von dem ich hier spreche. Aber das reicht mir, um Sehnsucht zu haben, diesen Weg zu gehen. Amen.