Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 22. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Markus)

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3. September 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Ausrufungszeichen

  • Oberflächlich ging der Streit im Evangelium um tradierte rituelle Vorschriften. Zunächst ist dies ganz das Thema des 7. Kapitels bei Markus. Die Auswahl für die Sonntagslesungen hat den Bericht allerdings stark gekürzt, denn im ersten Teil weist Jesus den Pharisäern nach, dass sie zu ihrem eigenen Nutzen Traditionen über das Wort Gottes gestellt haben. Dagegen erweitert Jesus im zweiten Teil der Auseinandersetzung - den wir heute vollständig gehört haben das Thema.
  • Jesus ruft dazu ausdrücklich wieder alle Leute zusammen. Wenn er dann seine Rede anfängt mit "Hört mir alle zu und begreift, was ich sage", dann kann man sich wohl auf etwas Wichtiges einstellen. In manchen alten Handschriften der Bibel ist sogar noch der zweite Satz eingefügt: "Wenn einer Ohren hat zum Hören, so höre er!". Offensichtlich ist es Jesus klar, dass viele ihn nicht verstehen werden oder das, was er sagen will nur widerwillig zur Kenntnis nehmen. Das, was er sagt, gehört sogar zu dem, was nach Jesu Meinung überhaupt nur seine Jünger richtig verstehen können, also Menschen, die im Hören auf das Wort Gottes und im Mitgehen mit Jesus geschult sind.
  • "Wenn einer Ohren hat zum Hören" ist also keine anatomische Auskunft, ob die Ohren noch dran sind, sondern ein Aufruf an das Herz des Menschen, seine Hörunwilligkeit zu überwinden. Damit aber ist deutlich, dass schon im Akt des Hörens die innere Verfasstheit des Menschens ausschlaggebend ist.

2. Nicht von Außen, sondern von Innen

  • Was ist das Eigentümliche, dass wir im Verdacht stehen, nicht zuhören zu wollen. Überhaupt, was haben die Reinigungsregeln des traditionellen Judentums mit uns weltgewandten Neuzeitlern zu tun, jene uns archaisch anmutende Diskussion um die Reinheit oder Unreinheit von Speisen oder Schüsseln? Sehr viel! Wir müssen nur von der Position Jesu ausgehen und dann fragen, wo wir betroffen sind.
  • Jesus vertritt den schlichten Standpunkt, dass das, was über die "Reinheit", also letztlich die "Würde" des Menschen entscheidet, darüber ob sein Leben gelungen ist, ob sein Menschsein anschaulich oder abstoßend ist, dass das nicht Andere und anderes entscheidet, sondern wir selbst. Jesus entlarvt den einen Finger, mit dem wir von uns weg weisen, und die Schuld, für das was uns nicht passt, von uns weisen. Er zeigt uns die drei Finger, sie sich zugleich gegen uns selbst richten.
  • Es ist eine nahe liegende Versuchung die eigene Biographie zu erzählen als das, was mir begegnet ist. Insbesondere, wenn die eigene Biographie als Not und Scheitern erlebt wird, dann dürfte jeder die Ereignisse und Schicksalsschläge, das Unrecht und alle Ursachen benennen können, die den bisherigen Lebenslauf bestimmt haben.
    Es ist eine Versuchung, so über sich selbst zu erzählen, weil die Fakten durchaus stimmen können - und zumeist stimmen: Was tun Menschen einander an! Aber dennoch wird dadurch das eigene Leben von mir selbst zu einem Objekt fremder Ereignisse entwürdigt. Das Annehmen der Opferrolle durch das Opfer verstärkt noch einmal das Opfer-Sein!

3. Außen und Innen

  • Im rituellen Reinhalten von Schüsseln geht es dem Augenschein nach um anderes. Der Kern aber, auf den Jesus die Frage nach ritueller Reinheit und Unreinheit zurückführt, ist genau die Frage nach dem Letztbestimmenden der Biographie des Menschen. Denn hinter dem Begriff der Reinheit steckt die Frage nach der Zugangsberechtigung zu Gott. Wo eine Ideologie herrscht, die die äußeren Umstände für alles verantwortlich macht, werden Äußerlichkeiten, über die andere bestimmen, zum Kriterium, ob der Einzelne Zugang zu Gott haben darf oder nicht.
    Zugang zu Gott ist aber Letztentscheidend für unser Leben: Zugang zu Gott ist Zugang zum erfüllten Leben, das uns niemand mehr nehmen kann! Jesus benennt den Ort für diese lebensentscheidende Frage: Das Innere des Menschen, von dem her sich unser Verhalten zu anderen bestimmt: Hass oder Liebe, Hochmut oder Aufmerksamkeit, Offenheit oder Verschlossenheit.
  • Im Vollzug des Glaubens kommt Außen und Innen zusammen: Der Schöpfer, der uns zuinnerst ist, und der Erlöser, diese von außen in Sakrament und Wort kommende Begegnung, sind eins. Gott begegnet uns von außen - und öffnet zugleich das Ohr unseres Herzens für die Verwandlung des Innen. Das Außen ist also nicht der äußerliche Vollzug von Riten, das äußerliche Reinhalten von Schüsseln, das äußerliche Teilnehmen an Gebetsveranstaltungen.
  • Das Außen ist Gott selbst, der uns von außen gegenüber tritt - indem er uns zugleich zuinnerst ist, in unser Herz trifft, in unserem Gewissen zu uns spricht, in unserer Biographie sich offenbart. Von daher nur bekommt das Außen der Riten, Zeichen und Vollzüge seinen Ort, indem sie Hilfen sind, auf uns selbst zu stoßen. Die Sakramente und die Gemeinschaft in der erfahrbaren Kirche sind so nur in dieser Spannung zu leben, die unser Innerstes erreicht, unsere Würde ausdrückt und unser Wesen verwandelt. Amen.