Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2014

Zurück zur Übersicht von: 2. Sonntag der Osterzeit A

27. April 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Sehen

  • "Wenn ich nicht sehe, glaube ich nicht." Ich will versuchen, mir diese Haltung des Apostels Thomas in unsere Zeit zu übersetzen.
  • Wäre Thomas ein naturwissenschaftlich orientierter Mediziner, so hätte er dem Apostel-Kollegen gesagt:'Leider vermag ich mich der Hypothese, der am Karfreitag durch Hirntod Verstorbene sei wieder am Leben, nicht anschließen, es sei denn durch eine zusätzliche Versuchsreihe könnte empirisch wahrscheinlich gemacht werden, dass dieser tatsächlich wieder vegetative Funktionen aufweise und zweifelsfrei mit dem Verstorbenen identisch sei.'
    Doch selbst dann bliebe die Auferstehung lediglich ein medizinhistorisches Kuriosum, denn leider fehlt ein zweiter Patient, an dem die Versuchsreihe wiederholt werden kann. Dr. Thomas würde wahrscheinlich noch lange am Rande von Medizinerkongressen das Kuriosum als Anekdote zum Besten geben.
  • Sehr wenig selig, die sehen und doch nicht glauben. Aus empirischen Beweisen folgt nichts, wenn für mich nichts daraus folgt.
    Ich verdanke naturwissenschaftlich denkender Medizin wahrscheinlich schon heute mehr, als mir bewusst ist. Aber die Medizin beantwortet mir die Frage nach dem Sinn des Lebens und meiner Beziehung zu Gott ebenso wenig, wie es damals dem Thomas geholfen hätte, nur einen 'empirischen Beweis' zu haben.

2. Glauben

  • Taugt 'glauben' als Alternative zu 'sehen'? "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben"? Das allein kann ja wohl kaum die Antwort sein, denn sonst würde das für jeden beliebigen Unsinn gelten.
  • Trotzdem ist diese schlichte Version sogar eine verbreitete Auffassung: Menschen glauben gerne das, was ihnen am ehesten 'entspricht'. Wie oft hört man das nicht bei Diskussionen, dass der Grund etwas zu glauben letztlich nur der ist, etwas glauben zu wollen, weil es den Wunschvorstellungen entspricht. "Sehen" können man ohnehin nichts, deswegen könne doch jeder glauben, was er wolle. Das ist heute fast unangefochten; ob es letztlich Heil bringt, wage ich zu bezweifeln.
  • Gefährlicher ist jedoch eine andere Variante, in der Glauben und Vertrauen gezielt missbraucht werden.
    Darin bringen die einen Menschen andere dazu, ihnen zu glauben und zu vertrauen. Sie suchen sich dafür immer die Schwächeren aus, denen sie als erwachsene Väter oder ältere Brüder, als Lehrer, Priester oder Bischof, als Sporttrainer oder Chorleiter, als Heimpfleger oder Arzt überlegen sind. Diese Menschen - zumeist Männer - bringen andere dazu ihnen zu vertrauen. Aber es geht ihnen nur um sich selbst. Sie sind oft krankhaft selbstverliebt, lassen dem freien Lauf und nutzen die Schwächeren für sich aus.
    Die Gewalt, die dann häufig folgt, ist deswegen so traumatisierend, weil darin Vertrauen enttäuscht und absolute Macht gegenüber absoluter Ohnmacht zelebriert wird.
    Der Aufruf Jesu zu glauben wird hier völlig pervertiert. Deswegen ist es auch zusätzlich schlimm, wenn solcher Missbrauch des Glaubens im kirchlichen Kontext geschieht.

3. Nachfolgen

  • Der Missbrauch des Vertrauens zeigt uns aber auch, warum Jesus glaubwürdig ist. In ihm zeigt sich Gott als demütig Liebender. Da ist nichts von Überwältigung. Die Evangelien machen ganz deutlich, dass der Auferstandene der am Kreuz Gestorbene ist. Vor ihm beugen sie ihre Knie. Seinem Frieden vertrauen sie.
  • Vor Ostern verbietet Jesus zu sagen, er sei der Messias. Er weiß um die Gefahr, einen Menschen zum Messias zu machen. Erst das Kreuz macht die Verwechslung des Gottessohnes mit all den Messiasen unmöglich, die nur Verehrung suchen um ihrer selbst willen. Jesus hingegen führt immer und immer wieder zu Gott, den er seinen Vater nennt. Er weist von sich selbst auf Gott hin - und ist darin gerade Offenbarung des Gottes, der immer größer ist als jedes Bild, das wir kennen. Jesus weist auf den Vater als Ziel, zu dem wir unterwegs sind, nicht das wir schon erreicht hätten.
  • Entsprechend ist das "Glauben" ohne "Schauen", das Jesus selig preist, nicht ein intellektueller Akt. Es ist auch nicht die thesenhafte Behauptung eines Wunschdenkens. Dieser Glaube ist immer wesentlich Nachfolge. Der Glauben, den Jesus fordert, ist die Nachfolge auf dem Weg, den er selbst gegangen ist. Und auch die Kirche muss sich immer wieder davon reinigen, Ort der Herrschaft von Menschen über andere zu sein, um Gemeinschaft der glaubenden Nachfolge werden zu können.
  • Nachfolge bezeichnet die Richtung. Keiner von uns kann oder muss das Leben Jesu imitieren. Vielmehr ist denen die Auferstehung verheißen, die in den kleinen Begegnungen des Alltags die Richtung Jesu einschlagen, indem sie nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen, nicht in allem sich selbst suchen, sondern sich auf das Wagnis der wehrlosen Liebe einlassen. Es ist die selbstvergessene Liebe, die nur aus der Souveränität eines Glaubens wachsen kann, dass der am Kreuz wahrhaftig Gottes Sohn ist, und ihm nachzufolgen für mich Tag für Tag der Weg zum Leben wird. Amen.