Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr C 2013 (Genesis)
Zurück zur Übersicht von: 2. Fastensonntag (C)
24. Februar 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg - Manresa-Messe (vorübergehend in St. Joseph/Altona)
1. Die Leitung versteht die Kirche nicht mehr
- "Die Kirche verliert den Kontakt zu ihren Mitgliedern". Vor zwei Wochen war das der Titel
einer katholischen Kirchenzeitung. Ich weiß, was die Zeitungsleute damit meinten. Es war eine
neue Studie veröffentlicht worden, die wieder einmal bestätigt, dass in vielen gesellschaftlichen
und ethischen Fragen ein und dieselbe Formulierung bei der katholischen Kirchenleitung und
bei katholischen Kirchenmitgliedern auf gegensätzliche Positionen trifft. (Ich formuliere das so
kompliziert, denn vielleicht liegt der Gegensatz häufiger an der Sprache, die kirchenamtlich
verwendet wird, als an der Sache.) Die Themen des Unverstehens sind hinlänglich bekannt.
- Das sind Fakten. Aber was mich bei der Schlagzeile "Die Kirche verliert den Kontakt zu ihren
Mitgliedern" stört, ist wie das Wort 'Kirche' hier verwendet wird, als seien die einen "die
Kirche" und die anderen "die Mitglieder". Würde der Titel nämlich theologisch korrekt
formuliert werden, so stünde da: "Die Leitung verliert den Kontakt zur Kirche".
- In der Tat, wer sich die Mühe macht, in der Presse zu verfolgen, womit und wie sich die
Bischöfe hierzulande bei ihren Treffen beschäftigen, wer sich zudem ansieht, wie hilflos diese
Bischofskirche in der Medienlandschaft umhergeistert, der kann eine solche Schlagzeile
nachvollziehen: Diese Leitung hat den Kontakt zur Kirche vielfach verloren.
- Zugleich gilt aber: die Leitung durch Papst und Bischöfe wird von der Presse, aber auch von
Progressiven und Konservativen in der Kirche völlig überschätzt; "Die Kirche"
müsse dies tun und "die Kirche" müsse das tun, als sei die bischöfliche Hierarchie "die Kirche".
- Nach römisch-katholischem und biblisch gut fundiertem Verständnis sind "die Kirche" alle, die
durch die Taufe und den Glauben Gemeinschaft mit Christus haben, Kinder seines und unseres
himmlischen Vaters sind, und mit dem Heiligen Geist besiegelt wurden. Daher ist es in der Tat
dramatisch, wenn es stimmen sollte, dass die Leitung die Kirche nicht mehr versteht und die
Bischöfe der Kirche nicht mehr vertrauen!
2. Von der Erfahrung der Gottesgegenwart sprechen
- Machen wir einen Sprung zu den heutigen Lesungen aus dem Buch
Genesis und dem Lukasevangelium. Beides Mal geht es um eine Zusage
Gottes. Dem Abraham (hier heißt er noch
Abram) macht Gott die Zusage, dass er nicht kinderlos sterben muss,
sondern zahlreiche
Nachkommenschaft haben wird. Und dann schildert die Bibel, wie Gott
diese Zusage mit einem
Ritual bekräftigt, mit dem in ältesten Zeiten ein Bund besiegelt
wurde: Die Vertragspartner teilen Tiere in zwei Hälften und schreiten
zwischen ihnen hindurch. Die Symbolik
bedeutet etwa: So wie diese Tiere soll es mich zerreißen, wenn ich den Vertrag breche. Abram
bereitet das Ritual vor und schaut Gott, der wie ein "rauchender Ofen und eine lodernde
Fackel" den Schwur besiegelt. Wir würden heute eine eidesstattliche Erklärung vor Gericht
ablegen; Gott, so das Buch Genesis hat in dem Ritual seine Erklärung abgegeben.
- Schauen wir auf die 'Eideserklärung' im Lukasevangelium, dann stellen wir Gemeinsamkeiten
fest. Der Inhalt der Erklärung ist verschieden; im Evangelium bekennt sich Gott zu Jesus als
seinem Sohn. Aber es fällt auf, dass die Heilige Schrift beide Mal vom Schlaf der Menschen
redet, beide Mal kommen Motive wie Feuer und Rauch vor.
- Beide Mal also versucht die Bibel etwas zu beschreiben, was eigentlich unbeschreibbar ist,
weil Gott unbeschreibbar ist. Jede Beschreibung Gottes ist nur der Versuch, mit Dingen aus
dieser Welt davon zu reden, wie der Ursprung dieser Welt sich in ihr offenbart. Das Motiv des
Schlafes der Jünger oder des Abram, die verhüllende Wolke, das Dunkel - mit all dem will die
Bibel vermeiden, dass die Erfahrung Gottes mit irgendeiner anderen Erfahrung verwechselt
wird - und doch will die Heilige Schrift verbindlich genau davon sprechen! Die Bilder der biblischen Sprache sind
nicht beliebig. Sie helfen vielmehr über die Zeiten, Erfahrungen des Wirken Gottes zu
kommunizieren und zu vergleichen.
3. Kirche Gottes sein
- Damit sind wir beim Kern des eingangs genannten Problems einer Kirchenleitung, die die
Kirche nicht mehr versteht. Denn beide - Leitung und Kirche - können mit einander viel zu selten
über die Erfahrung Gottes sprechen; es fehlt vielfach schlicht an der gemeinsamen Sprache -
und manche Bischöfe erklären deswegen sogar das breite Kirchenvolk für ungläubig und
deswegen inkompetent mitzureden.
- Es wäre unfair einseitige Schuldzuschreibungen zu machen. Ein wesentlicher Grund der Krise
der Kirche in unserem Teil der Welt liegt nach meinem Eindruck darin, dass von vielen
Bischöfen und ihren Zuträgern ängstlich all die sekundäre Fragen zum Prinzip hochstilisiert
werden, die weniger mit dem Kern des christlichen Glaubens zu tun haben, als damit dass sie sich gegen einen Kern
des neuzeitlichen Verständnisses von Menschenwürde und Gleichberechtigung abschotten wollen. Das betrifft
die Rolle der Frauen in der Kirche ebenso wie der Umgang mit Homosexuellen.
Es betrifft dann nur noch Nebenschauplätze, wenn etwa die Liturgie in ihrer
westlichen Form
hochstilisiert wird oder gar die Frage, ob ein pensionierter Papst mit
'Heiliger Vater' angesprochen werden soll, und so weiter. Letzteres sind
weniger Themen der Bischöfe, sondern der
kleinen, aber einflussreichen Schar derer, die sich als besonders
kirchentreu gebärden und sich
bei der Hierarchie einschmeicheln, die Pfarrer bei ihrem Bischof
denunzieren und im Internet
ganze Bischofskonferenzen vor sich hertreiben, weil diese
selbsternannten Superkatholiken
angeblich oder tatsächlich in Rom besonderen Einfluss haben.
- Solcher klerikaler Tüddelkram interessiert den einen Teil der
Medien, der andere legt immer
wieder den Finger in die Wunde, dass die Kirchenleitung davon redet,
Frauen und Homosexuelle zu respektieren, aber in der Praxis
diskriminiert. Dies sind die Erfahrungen und Themen,
über die geredet wird. Die Kirchenleitung - und als Pfarrer gehöre ich
ja dazu - trägt dafür
Verantwortung.
- Aber auch diejenigen, die kraft ihrer Taufe Kirche sind, müssen
sich fragen, was ihr Anteil an
diesem Nicht-Verstehen ist. Denn das ist die andere Seite: Viele
Getaufte überlassen es der
Amtskirche eigentlich ganz gerne, Kirche zu sein. Sie wollen die Kirche
nur als eine Institution; diese steht dann die für bestimmte Werte und
erbringt bestimmte Dienstleistungen
wie Gottesdienste, Kindergärten oder dergleichen. Wer Kirchensteuer
zahlt, hat einen Anspruch
darauf; aber darin kann es sich noch nicht erschöpfen, Kirche zu sein.
- Kirche ist die Gemeinschaft der Menschen, denen Gottes Zusage gilt: die Zusage an Abram wie
die Zusage an Jesus, sie zielt auf uns als Kirche. Was damals dem Abram, dem Petrus, Jakobus
oder Johannes passiert ist, die Gewissheit im Glauben an die Treue Gottes, die sie aus den
Erfahrungen gezogen haben - all das gilt uns, wenn wir Kirche sind.
- In der Schrift und in den Sakramenten ist es verbürgt. Aber es kommt nur bei uns an, wenn wir
das mit unseren eigenen Erfahrungen zusammen bringen. Dazu braucht es die Kirchenleitung
ebenso wie die Gemeinschaft der Glaubenden. Etwas so Zerbrechliches und Heiliges, wie die
Erfahrung der Gegenwart Gottes, braucht eine Gemeinschaft, die hilft die eigene Erfahrung zu
deuten, ihr Sprache zu geben und die Gotteserfahrung der Menschen zugleich davor zu
schützen, esoterisch verflacht und individualistisch um ihre Kraft gebracht zu werden. Die
Kirche, die darüber spricht und auf diese Erfahrungen hört, die diese Erfahrungen umsetzen
kann in die heilige Liturgie, die uns überliefert ist, und fruchtbar macht in Werken der
Gerechtigkeit und Liebe - das ist die Kirche, die Zukunft hat, weil ihr die Zusage Gottes gilt:
"Sieh doch zum Himmel hinauf, und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. So zahlreich
werden deine Nachkommen sein." Amen