Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr C 2001 (Genesis)

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11. März 2001 - khg Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai

Abraham: Da fragt sich einer, ob er sich im Vertrauen auf Gott auf den Weg machen soll und ob Gottes Wort das bringt, was es verspricht: Leben.
Hinweis: Bei Gelegenheit der 1. Lesung soll auf Abram/Abraham und damit auch auf die jüdischen Wurzeln des Glaubens eingegangen werden. Die Lesung wird in der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig gelesen und der Text als Kopie im Gottesdienst ausgeteilt.

1.

  • Der Glaube fällt nicht vom Himmel, er wächst aus den Wurzeln. Jesus Christus und das Christentum sind ohne die Wurzeln im Glauben Israels nicht möglich. Es gehört zum Unterscheidenden des Glaubens an Jesus Christus, dass diese geschichtlichen Wurzeln für uns bleibende Bedeutung haben. Der Glaube hängt nicht in der Luft. Er hat Wurzeln.
  • Gerade aus der ungeheuren kulturellen Distanz zwischen uns und der Welt, die aus den Berichten von Abraham spricht, kann unser moderner Glaube oft mehr Impulse gewinnen als aus einem rein zeitgestylten Input. Das Ungeheure unserer Lebensaufgabe wird nämlich aus der Distanz zum Archaischen deutlich.
  • Für Abraham sind zwei Faktoren zentral, um daraus das Gelingen seines Lebens zu erfahren: Blut und Boden oder, um weniger missbrauchte Begriffe zu nehmen: Nachkommenschaft und Land. Das Begriffspaar „Blut und Boden" erinnert aber hilfreich daran, dass es ganz und gar falsch wäre, unvermittelt aus der Moderne wieder in das Archaische zurückzufallen. Daraus kann nur menschenverachtender Totalitarismus werden. Wo die moderne Welt abstrakt ist, wird der Rückfall in das Konkrete totalitär. Das gilt für das Stammesprinzip, das Bodenprinzip genauso wie für jede Bestimmung des Menschen aus dem Kollektiv. Für uns muss die Sehnsucht des Abraham nach Nachkommenschaft und nach einem verheißenen Land zu einem Bild werden.

2.

  • Abraham ist eine biblische Gestalt an der Grenze von der Urgeschichte zur Heilsgeschichte. Die Urgeschichte deutet in den Bildern vom Paradies, von Kain und Abel, vom Turmbau zu Babel und von der Sintflut die Situation des Menschen. Die Heilsgeschichte ist der Beginn des Dialogs Gottes mit dem Menschen in dessen eigener Geschichte.
    Die Zeit Abrahams liegt wohl an die viertausend Jahre vor der unseren. Wir müssen uns ihm aber dennoch als realer Gestalt nähern. Dann verstehen wir auch das reale Ringen Abrahams mit Gott. Es geht ihm darum, dass er sich im Vertrauen auf Gott auf den Weg machen soll - und sich fragt, ob Gottes Wort das bringt, was es verspricht: Leben.
  • Abraham versteht Leben ganz physisch als Weiterleben in seinen Nachkommen. In seinem Stamm hat er seine Identität und Zukunft. Für uns ist das weit schwieriger, weil wir unsere Identität nicht aus unserer familiären Herkunft schöpfen können, sondern aus vielen Angeboten zusammensetzen müssen. Die Frage, wer wir sind ist unendlich komplex. Immer aber geht es uns wie Abraham: Trägt in dieser Identität die Verheißung auf Leben?
    Abraham hatte sich in Gedanken schon die Ersatzlösung vorgestellt: Mangels eigener Kinder wird er von einem Knecht beerbt. Man kann noch den Verlust spüren, der darin steckt: Nicht das Eigene in die Zukunft getragen zu sehen, sondern nur den angemieteten Ersatz. Gott verheißt dem Abraham ein Land, aber Abraham fragt skeptisch nach: „Mein Herr, Du, woran mag ich erkennen, dass ich´s ererben soll?" Woran soll Abraham erkennen, dass nicht zugekaufte, übergestülpte Identität, sondern er selbst es ist, der Zukunft hat.
  • Der Satz aus diesem 15. Kapitel im Buch Genesis, der am häufigsten zitiert wird, fällt aus der Erzählung, der Rede und Gegenrede zwischen Gott und Abraham heraus. Der Satz steht als theologischer Hammer in der Mitte: „Abram aber vertraute Gott; das achtete er ihm als Bewährung". Paulus zitiert den Vers zweimal und für Luther wurde der Vers zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Theologie: Abraham glaubte und Gott rechnet ihm das als Gerechtigkeit an. Durch den Glauben - durch den Glauben allein, wie Luther sagte - wird das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wieder möglich, weil nur im Glauben erfasst werden kann, was Gott aus reiner Gnade am Menschen tut.

3.

  • Was nun ist von diesem Glauben des Abraham zu sagen? Hatte er keine Zweifel? Waren für Abraham alle Fragen erledigt?
    Abraham vertraut Gott in seinen Zweifeln. Mir scheint Abraham war sich sogar gewiss, dass die verheißene Nachkommenschaft abzuschreiben ist. „Mein Herr, Du, was magst du mir geben!" Aus dem Seufzer spricht Abrahams Seelenzustand. Wenn Abraham so ein Skeptiker war, was behauptet dann die Bibel über seinen Glauben? Wenn man den Text genau anschaut nur das eine: Abraham lässt sich von Gott hinausführen unter das Sternenzelt, in die Weite der Nacht. Die Unzählbarkeit der Sterne ist dem Abraham die Verheißung. Gott serviert uns nicht den Lohn unseres Glaubens. Gott führt uns unter Sterne. Gott eröffnet uns die Weite.
  • Da mag es uns wie Abraham gehen. Die Erzählung setzt neu an. Noch herrscht Tageslicht. Abraham redet mit Gott und bereitet ein damals schon uraltes Ritual vor. Er nimmt dreijährige Tiere (drittbürtige nicht erstgeborene wie beim Opfer!), zerteilt sie und bildet eine Gasse zwischen den Teilen. Nach dem alten Ritual müssen zwei Parteien, die einen Bund miteinander schließen, durch diese Gasse gehen und damit zeigen: So soll es mich zerreißen, wenn ich den Bund breche. Abraham soll den Glauben an Gott auf vernünftige, gegenseitige Verpflichtungen bauen.Dieses Bündnisritual bereitet Abraham vor. Er bereitet sich darauf vor, mit Gott einen Bund einzugehen.
    Schon hier wird die Bedrohtheit dessen deutlich, was geschieht. Geiervolk, aashungrige Raubvögel stoßen auf die Szene nieder. Es wird Abraham nicht leicht gemacht, mit Gott einen Bund einzugehen.
  • Auch wenn es ihm gelingt, die Geier zu verscheuchen überkommt Abraham Angst und Schrecken. Die Dunkelheit fällt herab und Abraham fällt in einen schweren Traum. Im Traum, in dieser Tiefe seines Bewusstseins, durchleidet er die ganze Ungewissheit des Menschen, der nicht weiß, wer er ist, ob ihm Zukunft gegeben ist, ob es einen Ort gibt, an dem er leben kann.
    In dieser Tiefe des Traums sieht Abraham: Was vorbereitet war wie ein altes Ritual für den Vertragsabschluss zwischen zwei Menschen, wird von Gott einseitig erfüllt. Abraham sieht Gott im Bild der Feuerfackel. Von dieser wird gesagt: Sie zog zwischen diesen Stücken querdurch. Mitten im Angsttraum des Menschen gibt Gott seine Zusage. Mitten im Dunkel beharrt Gott auf seinem Versprechen: Dir, dem was Du bist, wird Zukunft gegeben und Raum zum Leben. Amen.