Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr A 2017 (Matthäus)

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12. März 2017 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Verschwiegene Verklärung

  • "Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist." Petrus, Jakobus und Johannes haben etwas real erlebt; sie haben es gesehen. Aber sie sollen es erst dann anderen erzählen, wenn der Jesus, an dem sie Gottes Herrlichkeit gesehen haben, durch den Tod hindurch gegangen ist. Das ist kein willkürliche Verbot Jesu. Vielmehr weiß Jesus: Die Botschaft von der Gegenwart Gottes ist immer in Gefahr, in ihr Gegenteil verfälscht zu werden, wenn das Kreuz und der Tod ausgelassen werden. Das ist ein Grundgesetz für das Reich Gottes.
  • Ich halte es für keinen Zufall, dass die Relativierung von Macht vor allem dort zu einem Grundgebot des Politischen werden konnte, wo der, von dem alle Macht kommt, Gott, mit der Botschaft vom Kreuz, dem Evangelium von der ohnmächtigen Hingabe Gottes für sein Volk, verkündet wird. Das ist im Alten Testament grundgelegt von dem Gott, der sich durch seine Liebe bindet und seinen Namen heilig hält. Dieser Grundzug Gottes hat seine radikale Erfüllung gefunden im Kreuz.
  • Daher ist die Verklärung auf dem Berg, die die drei Apostel schauen durften, auch nur ein Ausblick. Es muss ein überwältigender, begeisternder, erschütternder Ausblick gewesen sein. Mose und Elija, Gesetz und Propheten in Israel, bezeugen die Gegenwart Gottes, Gottes Herrlichkeit in Jesus. Aber verkündet, mitgeteilt, in die Kirche hinein und in die Welt hinaus getragen kann dies nur durch Kreuz und Tod hindurch werden. Am Ende ist Gottes Herrlichkeit dort: bei den Armen, bei den Gefangenen, in der respektvollen Zuwendung zu jenem Menschen, der nach den Maßstäben von Macht und Erfolg nichts gilt.

2. Vorbehalt des Kreuzes

  • "Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt". Das Gebot stellt nicht in Frage, wer die drei sind und was sie gesehen haben. Das Gebot Jesu macht Menschen nicht klein, schon gar nicht Menschen, die intensive religiöse Erfahrungen gemacht haben. Jesus belächelt doch die Apostel nicht als religiöse Spinner. Wer die Herrlichkeit Gottes erlebt oder auch nur ahnt, darf sich freuen über das Geschenk dieser Erfahrung. Genauso wenig muss irgend jemand sich im Namen angeblich christlicher Bescheidenheit die Gaben und Fähigkeiten ausreden lassen, die Gott ihm geschenkt hat.
  • Der Vorbehalt ist ein anderer. Die Wahrheit Gottes ist gebunden durch Kreuz und Auferstehung. Das Reich Gottes baut nicht auf der Größe des Menschen auf, obwohl wir berufen sind, uns mit allen Kräften dafür einzusetzen: für die größere Ehre Gottes und seine Gerechtigkeit unter den Menschen. Daran mitzuwirken sind wir berufen. Jedem von uns sind dazu Fähigkeiten gegeben. Diejenigen, die mit intensiven Glaubenserfahrungen, Erfahrungen der Herrlichkeit Gottes, gesegnet sind, sollten von allen besonders geachtet werden - und beachtet, denn es sind nicht unbedingt die, von denen man es von Amts wegen erwartet.
  • Doch "von dem erzählen" können wir nicht, "bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist". Nur in der Ohnmacht des Todes, die Jesus Christus, Sohn des Höchsten durchschreitet, kann all das seine Kraft entfalten. Das ist die unverzichtbare Spannung des christlichen Glaubens, dass wir Gott als den Einzigen bekennen, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele und mit all unserer Kraft - aber zugleich unter dem Gebot stehen, den Namen Gottes nicht für uns zu missbrauchen.

3. Begrenzung der Macht

  • Ich halte es nicht für Zufall, dass dieser religiöse Nährgrund die Relativierung der Macht auch politisch so zentral gestellt hat (Hervorgebracht hat dieses Konzept eine vorchristliche antike Kultur, die aber immer untrennbar mit einer elitären Sklavenhaltergesellschaft verbunden blieb.)
    Im (westlichen) Mittelalter war das spannungsreiche Gegenüber von geistlicher und weltlicher Macht - Papst und Kaiser - Ausdruck dieser Relativierung. Und bis in die Gegenwart war es das Verständnis von Demokratie, deren Wesensmerkmal nicht die Herrschaft der Mehrheit ist, sondern mindestens so sehr die Bindung der Mehrheit durch die Achtung vom Recht des Anderen und Andersdenkenden und der Bindung durch Gesetz und Verfassung. Ein Präsident, der von sich selbst behauptet, mit ihm sei die Zeit der demokratischen Wechsels von Mehrheiten und Minderheiten vorbei und nun 'das Volk' an die Macht gekommen, stellt präzise diese Grundlage jeder christlich geprägten Demokratie in Frage. Wie die kommunistische "Diktatur des Proletariats" zutiefst atheistisch war, weil sie sich an die Stelle Gottes gesetzt hat, ist jeder Atheist, der nur noch ein Volk und einen Präsidenten kennt und alle, die das kritisch beleuchten, zu Lügnern erklärt.
  • [Eine perfide Form, wie sich die eigene Absolutsetzung durch die Hintertür wieder einschleichen kann, ist die Selbstdefinition als Opfer. Denn einerseits stellt gerade das Kreuz Christi die Opfer von Gewalt und Missbrauch in den Mittelpunkt. Beschämend genug ist, wie oft das von einer von sich selbst berauschten oder auch in sich selbst verunsicherten Kirche ausgeblendet wurde und wird.
    Aber es gibt auch die Selbstermächtigung des Opfers, das aus dem Opferstatus alle Rechte für sich ableitet. Diese politische Selbststilisierung verbindet etwa den serbischen oder polnischen Nationalismus (Polen sei "Christus der Völker") mit so manchen Akteuren des klassischen Feminismus oder der Genderdebatte (wenn von schuldhafter Diskriminierung von Minderheiten die Oberherrschaft über Lehrpläne für Kinder abgeleitet wird). Dem gegenüber ist die Verschleierung von krimineller Korruption durch die Beschwörung des Unrechts des Kolonialismus eine leicht durchschaubare Karikatur.]
  • Keiner von uns ist Präsident einer Großmacht. Aber wahrscheinlich sind die meisten von uns - ich allemal - in der Versuchung, sich als kleiner Präsident zu gebärden: Als Vater oder auch Mutter in der Familie, als Priester in der Kirche, als Mensch, dem Gaben geschenkt sind, bis hin zum Schauen der Herrlichkeit Gottes. Menschen führen so schnell andere in die Abhängigkeit, auch weil viele andere sich allzu willig einer solchen Autorität unterstellen. Ihnen allen gilt der Vorbehalt des Kreuzes. Gott ist anders als wir es uns oft wünschen. Gerade deswegen dürfen wir ihn lieben und verehren. Amen.