Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr A 2014 (2. Timotheusbrief)

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16. März 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Scham und Börsenzockerei

  • Wenn ein Verbrecher hierzulande klug genug ist, seine Haftzeit dadurch berechenbar zu halten, dass er keine Berufung einlegt, dann nötigt das sogar der Bundeskanzlerin Respekt ab. Vielleicht lagen im aktuell konkreten Fall auch andere Gründe vor. Ich erwähne Uli Hoeneß auch nur, weil ich eine andere Frage interessant finde: Warum hat er überhaupt die Steuern hinterzogen; mag sein, dass es nur das Geld war. Warum aber hatte er bis fast zuletzt gegen alle Vernunft die Gesamtsumme so niedrig angegeben, obwohl es hätte klar sein können, dass alles heraus kommt. Ich weiß es nicht. Aber eine Möglichkeit scheint mir zu sein: Weil er sich geschämt hat, dass er so viel Geld verdient hat, weil es durch spielsüchtige Börsenzockerei erworben wurde. Der spielsüchtige Börsenzocker ist vielleicht bei Investmentbanken etwas normales; er passt aber nicht zu dem Bild, das Herr Hoeneß von sich, vor anderen und wohl auch vor sich, aufgebaut hat. Deswegen schämt man sich. Vielleicht auch er.
  • Dies ein Aspekt von dieser Scham: Wir wollen das Bild, das wir von uns geschaffen haben, nicht verletzt sehen. Wir haben Angst, mit dem Bild nach außen und innen könnten auch wir selbst Schaden nehmen.
    Deswegen schweigen Menschen, wo es um ihre Schattenseiten geht, und reden sich um Kopf und Kragen, wo das öffentliche Bild in Frage gestellt wird. Wir wollen nicht als die gesehen werden, die so sind.
  • "Schäme dich nicht, dich zu unserem Herrn zu bekennen". Diese Ermunterung findet sich direkt vor dem Abschnitt im Zweiten Timotheusbrief, den wir heute gehört haben. Der Abschnitt, der als Lesung für den zweiten Fastensonntag bestimmt ist, beginnt mit "Leide mit mir für das Evangelium...". Der Zusammenhang heißt also: Schäme dich nicht, dich zu Jesus Christus zu bekennen, sondern leide statt dessen für das Evangelium. Das kann man auf die Verfolgung der frühen Kirche beziehen, in der Menschen leiden mussten, wenn sie sich zu Jesus Christus bekannten. Es könnte aber schon im Timotheusbrief viel grundsätzlicher bedeuten: Überwinde deine Scham und erleide, dass das Bild, das Du und andere sich von Dir gemacht haben, zerstört wird.

2. Leiden und Nicht-Schämen

  • Leiden durch Nicht-Schämen. In dieser Perspektive bekommt das "Leiden für das Evangelium" eine ganz andere Bedeutung und Dimension. Anders wäre das Leiden letztlich immer etwas Äußerliches und Willkürliches. 'Gott will aus irgendwelchen, mir unerfindlichen Gründen, dass ich leide'; oder 'Weil Jesus gekreuzigt wurde, bin ich irgendwie mitgehangen und mitgefangen'.
  • Wenn aber meine Überlegung über den Zusammenhang von Überwindung der Scham und Leiden stimmt, dann wäre der ganze Vorgang etwas, das mich zutiefst betrifft und das im Kern eine Befreiung ist. Die Scham - hier immer in dem oben genannten Sinn! - ist die ständige Anstrengung ein Bild von mir verkaufen zu müssen, das letztlich nicht stimmt; ich muss dafür Überzeugungen und Freunde gleichermaßen verleugnen. Der Timotheusbrief ermutigt statt dessen und sagt: Wage den Schritt aus dem maskenhaften Selbstbildnis und ertrage, dass Menschen Dich so sehen, wie Du bist.
    Und dies gilt auch und besonders dann, wenn ich schuldig geworden bin, weil dies der vielleicht einzige Weg ist, aus dem Netz der Schuld befreit zu werden.
  • Was auch immer die konkreten Motive und Zusammenhänge im Fall Hoeneß gewesen sein mögen: Wenn ein Mensch, der sich immer mehr in zerstörerischer Spekulationssucht verliert und doch gleichzeitig danach sehnt, von anderen als ein guter Mensch gesehen zu werden (und darin unterscheidet sich Herr Hoeneß vermutlich von vielen anderen Börsenzockern), wenn ein solcher Mensch die Kraft fände, diese dunkle Seite nicht mehr zu verstecken, dann könnte er wirklich davon befreit werden. Und würde ein solcher Weg von innen heraus und nicht durch die besser werdende Steuerfahndung ausgelöst - das hätte unser aller Respekt wirklich verdient.

3. Den Tod überwinden

  • Diese Befreiung ist im Glauben an Jesus Christus möglich. Davon ist der Timotheusbrief überzeugt. Der Verfasser schildert uns seine Gründe: Erstens Gott gibt dazu die Kraft und zweitens: Das Evangelium ist öffentlich geworden, "durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus offenbart".
  • In den Situationen, in denen wir uns vor der Realität verstecken und uns unser schämen, sehen wir nur die eigene Kraft und kommen aus der Falle nicht heraus. Der erste Schritt ist daher darauf zu hoffen oder zu vertrauen, dass nicht meine, sondern Gottes Kraft entscheidend ist. Vielleicht müssen wir das als eine Art Hypothese des Glaubens sehen: Wenn der Glaube recht hätte, dann müsste die Kraft reichen, weil sie von Gott kommt; ich müsste es nur einmal ausprobieren.
    Im Evangelium von der Verklärung auf den Berg entspricht dem die Stimme, die Jesus als Gottes Sohn offenbart: "Auf ihn sollt ihr hören". Die drei Jünger sind Zeugen dafür, dass die entscheidende Kraft von Gott kommt, "nicht aufgrund unserer Werke" sondern weil sie uns in "Christus Jesus geschenkt wurde".
  • Das zweite ist, dass sich das Bekenntnis zu dem Messias Jesus, dem Gekreuzigten, als Skandal anbietet, hinter dem meine eigenen Schwächen verblassen. Dem entspricht beim Evangelium von der Verklärung der Weg herab vom Berg, wenn Jesus auf das kommende Kreuz verweist.
    Wenn ich mich zu einem derart unfähigen ("anderen hat er geholfen - hilf dir selbst") und schwachen ("konnte Gott das nicht verhindern") Gott bekenne, statt ihn zu verleugnen, dann ist eine Grenze überschritten. Heute würde man sagen: Da hat sich jemand geoutet: Er vertraut einem Gott, der wehrlos ist. Im Evangelium wird vor aller Welt ein Skandal verkündet. Mich dem Bekenntnis zu diesem Messias und Gott anzuschließen stellt gesellschaftlich und im öffentlichen Ansehen derart an den Rand, dass ich dann auch eingestehen kann, dass ich selbst nicht so toll und makellos bin, wie alle (mich inklusive) immer dachten.
  • Diese Offenbarung, das Licht dieses Glaubens, so heißt es im Timotheusbrief "hat dem Tod die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht". Bis dahin hat der Tod dieselbe Macht wie alle, die damit drohen, das geschönte Bild von mir zu zerstören. Der Tod regiert mit den Mitteln der Angst. Wem es geschenkt ist, sich nicht mehr für Gott zu schämen, hat diese tödliche Angst überwunden und hat Anteil an dem Licht, das unvergänglich ist. Amen.