Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 2. Adventssonntag Lesejahr C 2003 (Baruch)

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7. Dezember 2003 - Hochschulgottesdienst Kaiserdom Frankfurt

1. Kein Zuhause

  • Kaum jemand ist in Frankfurt zuhause. Die meisten hat es hier her verschlagen. Die Wohnung ist zufällig, bestenfalls war man lange genug dort, um der Zimmereinrichtung den persönlichen Stempel aufzudrücken. Aber die Zeit wird anderswo zugebracht. Wenn schon nicht das Herz, so hängt die Kraft im Studium, im Job, in der Arbeit. In Frankfurt dreht sich der Bekanntenkreis seltener um Familie oder Wohnung, als um den Job. Mancher würde mit bitterer Ironie sagen, dass das Büro das einzige Zuhause ist, das er in Frankfurt hat. Ist das Studium zu Ende oder der Job gekündigt, hält einen hier nichts mehr, es sei denn der Mangel an Alternativen.
  • Schwer fällt es dem heimatlosen Globalbürger, die Emotionalität nachzuvollziehen, mit der der Dichter im 5. Kapitel des Buches Baruch von Jerusalem spricht. Die Heimatstadt Jerusalem, die verloren schien nach der Zerstörung 586 v. Chr., sieht er wieder erstrahlen. Auch als sie in Ruinen lag, hat er sie nicht vergessen. Sie ist und bleibt seine Heimat.
  • Vielleicht ist uns die Sehnsucht geblieben, die Erinnerung daran, dass es so etwas gibt wie ein Zuhause. Vielleicht ist es gelungen, daran zu arbeiten, eine Beziehung zu haben, die Geborgenheit gibt - aber immer ist diese Beziehung in Gefahr, unter der Last zu zerbrechen, die die Erwartung auf sie häuft. Vielleicht haben wir wenigstens vorübergehend ein Zuhause von Freunden, die der Job oder das Studium vor meine Haustür gespült haben. Vielleicht würden wir auch um dieses Zuhause weinen, wie Baruch um Jerusalem geweint hat. Würden wir jubeln um einen Neubeginn, wie Baruch gejubelt hat?

2. Die Liebe braucht einen Ort

  • Frankfurt ist nur das Extrem. Der Trend ist allgemein. Die Hohenpriester der Globalisierung murmeln den Mantra von der Mobilität wie eine unhinterfragbare Wahrheit. Wer mithalten wolle müsse mobil sein. Alles wird besser, schneller, flexibler, effektiver, mobiler. Das Bedürfnis nach einem ruhenden Ort muss dahinter zurücktreten.
    Das macht die Verheißung eines heiligen Ortes verdächtig. Orte seien wie alles relativ. Alles müsse hinterfragbar sein, denn das Bessere ist der Feind des Guten.
  • Hier genau aber liegt das Missverständnis. Die Verheißung des Neuen Jerusalems gehört in den Bereich der Religion, nicht den der Ethik. In der Ethik ist in der Tat verdächtig, wer am Istbestand festhält und sei es nur der Istbestand einer heiligen Verheißung. Unser Tun müssen wir immer bereit sein zu hinterfragen.
    Auch der Glaube muss sich vor der Vernunft rechtfertigen können. Es geht aber hier zunächst nicht um das bessere, das zu tun ist, sondern um den Ort, an dem wir leben, mit Leib und Seele.
  • Ethische Forderungen kennen wir zu genüge. Damit sie nicht zur Überforderung werden, müssen wir darauf achten, wo wir stehen. Es hilft nicht, sich das Postulat der Nächstenliebe ständig zu wiederholen, wenn uns die Erfahrung fehlt, dass wir auf einem Grund gebaut sind, der uns die Freiheit gewährt von uns weg und auf andere zu zugehen. Die Hektik des "schneller, besser, mehr"-Imperativs hat auf den Menschen vergessen, der nur an Orten leben kann, wo Beziehung möglich ist.

3. Himmlisches Jerusalem - hier

  • Dies Lesung aus dem Buch Baruch ist ein Jubel. Mitten in einer Zeit, in der Gottes Heiliges Volk in der Zerstreuung über alle Länder leben muss, jubelt der Prophet, weil er sieht, dass Gott die Initiative ergreift, auf die Menschen zugeht und sie zusammenführt. "Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat." Die Botschaft der Heiligen Schrift ist so unerhört, dass man sie kaum fassen kann: Gott denkt an uns und schafft selbst den Ort, an dem wir leben können. "Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt."
  • Das Evangelium Jesu Christi sprengt dabei alle Grenzen zwischen Völkern, Sprachen und Nationen, ist wahrhaft global, ohne aber dem Dogmatismus der Globalisierung zu verfallen. Das geographische Jerusalem wird in den Schriften des Neuen Testamentes verwandelt in die Verheißung eines Neuen Jerusalems, das vom Himmel herabkommt, jenseits unserer Zeitberechnung. Es ist die Verheißung des Kommenden.
  • Diese Verheißung aber schafft schon heute Orte, an denen wir leben können. Baruch schreibt: "Das Wort Gottes hat sie gesammelt". Das Wort Gottes, seine Verkündigung schafft Orte, an denen Menschen sich sammeln.
    Rom ist nicht Jerusalem. Aber wenn wir hier zusammen sind, um Gottes Wort zu hören, dann wird das verheißene Jerusalem für uns erfahrbar.
    Frankfurt ist nicht Jerusalem. Aber wenn wir hier miteinander das Brot brechen, in dem der Herr sich uns schenkt, dann wird dieser Ort für uns zur Heimat. Das Licht am Tabernakel, in dem das Brot des Lebens aufbewahrt wird, leuchtet jedem, der in diese Kirche zum Gebet kommt und zeigt ihr oder ihm an: An diesem Ort bist du zuhause. Amen.