Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 19. Sonntag im Lesejahr A 2008 (Matthäus)

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10. August 2008 - Universitätsgottesdienst St. Antonius

1. Leidenschaft für sein Volk

  • Den Verschwörern des 20. Juli 1944 war es um Deutschland zu tun. Sie hatten sich zum Attentat gegen Hitler entschlossen, weil sie Patrioten waren und nicht länger zusehen wollten, wie der "Führer" dieses Land moralisch und militärisch in den Abgrund trieb. Diese "nationale" Motivation ist für uns heute nur schwer nachzuvollziehen. Aber diese Leute haben ihr Leben riskiert und zumeist ihr Leben verloren, weil es ihnen um ihr Land zu tun war. Ich weiß nicht, wer von uns bereit wäre, sich für irgendeine soziale Gruppe so aufzuopfern. Vielleicht für die Familie, vielleicht für Freunde, aber für das "Vaterland"?
  • Paulus hätte sie verstanden. Der Abschnitt, den wir aus dem Römerbrief gehört haben, gehört zu den patriotischsten Texten, die ich kenne. Mir ist schleierhaft, wie Generationen von Exegeten der Meinung sein konnten, Paulus habe sich von seinem Volk abgewandt, als er sich Jesus Christus zugewandt hatte! "Ich bin voll Trauer, unablässig leidet mein Herz. Ja, ich möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein um meiner Brüder willen, die der Abstammung nach mit mir verbunden sind. Sie sind Israeliten..." Mehr Emotion und Liebe für das eigene Volk wird man schwerlich finden.
  • Es ist kein blinder Nationalismus und schon gar kein kriegerischer. Paulus hat für sich entdeckt, dass Gott in Jesus Christus sowohl den vielen Völkern, aber zuerst und gerade auch dem Volk Israel das große Geschenk der Erfüllung seiner Hoffnung gemacht hat. Und Paulus trifft es schmerzlich, dass (wieder einmal) das Volk Gottes vor Gott die Augen und Ohren verschließt, nicht sieht und nicht hört und nicht erkennt. So ähnlich mögen die Attentäter des 20. Juli darunter gelitten haben, dass das Volk von Goethe und Schiller, von Kant und so vielen anderen Philosophen nicht erkennt, wie es seine Tradition verrät und seine Lebenschancen vertut, wenn es Hitler nachläuft.
    Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich versuche nur uns heute die "partiotische" Motivation des Paulus verständlich zu machen. Der Grund für die Sorge um ihr Volk ist aber grundverschieden. Beim 20. Juli ging es darum, dass eine ganze Nation in einen brutalen Vernichtungskrieg gezogen ist und ein Vernichtungsprogramm gegen das Volk der Juden und viele andere begonnen wurde, das Millionen Opfer zur Folge hatte. Paulus hingegen ist bewegt von seinem Volk, das nicht, wie er, in Jesus Christus den Messias erkannte.

2. Vertrauen, das Boot zu verlassen

  • Das Evangelium vom Seewandel kann als Allegorie darauf gelesen werden. Das ist keine beliebige Interpretation, wenn sie sich aus dem Zusammenhang des Evangeliums und des Neuen Testamentes entwickelt. So sehe ich die Jünger in ihrem Boot auf dem See als das Volk Israel unterwegs. Das Boot ist die Thora, das Gesetz Gottes, das aus Israel erst ein Volk macht und ihm hilft, in der Beachtung der Gebote in der Treue zu Gott zu leben. Gemeinsam sitzen Sie in dem Boot. Es gibt ihnen Halt auf stürmischer See. Ohne dieses Boot wären die Jünger so wenig aufgebrochen, wie Israel ohne die Thora in die Geschichte eingetreten wäre. Das Boot ist unverzichtbar!
  • Das Erschrecken vor der Gegenwart Gottes ist eine Erfahrung, die im ganzen Alten Testament belegt ist. Gott ist kein Knuddelbär. "Als die Jünger Jesus über den See kommen sahen, erschraken sie." Aber zugleich ruft die Begegnung mit Gott heraus aus dem Alten. Abraham ist der Stammvater des Glaubens. Mit ihm beginnt Gott seine Geschichte mit den Menschen, als er ihn wegruft aus der Chaldäa. Israel als Volk weiß um die Urerfahrung des Glaubens, herausgerufen und befreit zu werden aus der Knechtschaft Ägyptens. Petrus hat das im Blut, als er im Vertrauen auf den Befehl Jesu aus dem Boot steigt. Im Vertrauen darauf, dass in Jesus, der gesagt hat "Ich bin es!", ihm Gott selbst ruft, verlässt er die Gemeinschaft im Boot und geht auf Jesus zu. Er weiß und merkt, dass er schwach ist. Er weiß und merkt aber auch, dass Gott ihn nicht untergehen lässt.
  • Am Ende ist Petrus wieder im Boot (auch wenn das nicht ausdrücklich gesagt wird). Aber weder Petrus ist nun derselbe noch das Boot dasselbe wie zuvor. Jesus hat Petrus, den Einzelnen, berührt und an der Hand genommen. Petrus ist damit Prototyp für die Jünger, nicht mehr auf das Boot, sondern auf die lebendige Gegenwart Christi zu vertrauen. Die Gebote der Thora, das Boot, ist immer noch da. Aber der letzte Grund für das Vertrauen, dass die See für sie keine Gefahr mehr ist, ist weder das Kollektiv der Gruppe noch sind es die Planken des Bootes. Die Jünger neigen sich in Verehrung vor Christus und bekennen: "Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn."

3. Gerufen, aus Gottes Geist zu leben

  • Die erste Konsequenz gilt Israel. So sieht es Paulus und so sieht es das Matthäusevangelium. Das Neue des Evangeliums ist nicht die Nächstenliebe oder das Gottesbild allgemein. Das Neue ist der Punkt in der Geschichte, an dem Gott Mensch wurde. Dieser Punkt ist vorbereitet worden, indem Gott sich ein Volk berufen hat, das die Menschwerdung verstehen konnte. Die Römer oder Griechen hätten das mit ihren Halbgöttern verwechselt. Juden wie Paulus oder Petrus konnten verstehen, dass sich der Name Gottes erfüllt: "Ich bin der 'Ich bin da'". Was einst für das Volk als Ganzes galt, gilt jetzt für jeden aus Israel und aus allen Völkern: Wir können Gott begegnen und aus seinem Geist leben.
  • Die zweite Konsequenz gilt daher uns. Um als Christen glauben zu können, müssen wir auf Israel schauen und die Thora achten. Aber dann dürfen wir mit Petrus aus dem Boot steigen und erleben, dass die Verbindung in Jesus Christus unser ganzes Leben hält, auch über die Zweifel und die Heftigkeit des Sturms hinweg. In der Taufe hat Gottes Geist jeden von uns berührt und erfüllt.
  • Deswegen ist die Kirche nicht einfach die Fortsetzung oder Nachfolgerin Israels. Zur Kirche gehören Menschen aus Israel und allen Völkern (oder wie es in unseren Bibelausgaben heißt: aus Juden und Heiden). Aber während Israel immer als Volk das Gesetz Gottes empfangen hat und zur Treue berufen war, wurde nun - der Verheißung gemäß - Gottes Geist in das Herz eines jeden von uns gelegt. Deswegen war Israel immer als Ganzes betroffen, wenn seine Könige den Baal verehrten oder seine Führer Christus ablehnten. Wir haben in der Kirchengeschichte schreckliche Päpste und Bischöfe erlebt. Aber der Glaube ruht auf dem Heiligen Geist, den jeder einzelne von uns hat. Mit Petrus gehen wir wieder zurück in das Boot. Aber Christus ist mit uns. Hoffen und vertrauen wir mit Paulus, dass sich nicht nur für einzelne Juden dieser Weg erfüllt, sondern dass Gott in seiner Treue am Ende ganz Israel retten wird. Amen.