Predigt zum 15. Sonntag im Lesejahr C 2007 (Lukasevangelium)
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15. Juli 2007 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt
1.
Kategorischer Imperativ
- Großes Wehklagen überkommt mich
jedes Mal, wenn ich gewahr werde, wie wenig ich in meinem bisherigen
Leben gemäß
Kants Kategorischem Imperativ gehandelt habe. Es ist ein Jammer. Kant
hat mit
großer Gedankenschärfe diesen Imperativ abgeleitet, begründet
und in präzise Formulierungen gegossen. Und mein Handeln dankt ihm das
nicht. Dabei ist das Schönste an diesem Imperativ, dass er wirklich
kategorisch
ist. Nicht also wegen diesem oder jenem, nicht weil ich davon einen
Vorteil
hätte, solle ich handeln, sondern einzig und allein, weil es der von
der
Vernunft erkannte Imperativ gebietet. Heilige Pflicht.
- Gegenüber dem fällt die Bibel
ab. Hier wird nicht kategorisch nach dem Imperativ gefragt: Was soll
ich tun,
ohne wenn und aber. Hier wird gefragt: "Was muss ich tun, um das
ewige Leben
zu gewinnen?" Hier steht ein "um". Um eines Zieles willen
möchte
der Frager wissen, was zu tun ist: wenn ich dieses Ziel erreichen
möchte.
Das fällt gegenüber Immanuel Kant ab. Aber es ist vielleicht näher
dran an dem, wie wir fragen würden.
- Denn normalerweise suchen wir
nicht nach
einer philosophischen Begründung einer Universalethik. Wir suchen für
uns ein gelungenes Leben. Wir suchen Glück. Und da ist die Übersetzung
des Bibeltextes ungenau, denn im griechischen Original steht nicht die
Frage
was man tun müsse um "das ewige Leben zu gewinnen". Der
bestimmte
Artikel "das" fehlt da. Es geht um Leben überhaupt, "Leben
gewinnen".
Nicht nur nach dem Tod wollen wir Leben - das ist für uns oft weit
weg.
Hier wollen wir leben, volles, ganzes, ewiges Leben. Wie ist das zu
haben?
2.
Das Beispiel vom barmherzigen Samariter
- Vermutlich war der Thora-Gelehrte ein Jünger Jesu. Er möchte
wirklich
wissen, was sein Meister und Lehrer auf die Frage antwortet. Jesus
aber zeigt
ihm, dass er als Kenner des jüdischen Gesetzes die Antwort dort
findet.
"Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und
ganzer Seele,
mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten
sollst
du lieben wie dich selbst." Dies ist die Antwort nach der
jüdischen
Thora, und Jesus nimmt kein Jota davon weg. Die Antwort ist
zusammengesetzt
aus Zitaten des Buches Deuteronomium (dem Glaubensbekenntnis "Höre,
Israel..." Dtn 6,4) und dem Buch Levitikus, das das Gebot der
Nächstenliebe
entfaltet (Lev 19,18). Auch im Alten Testament gehören Gottes- und
Nächstenliebe untrennbar zusammen wie die beiden Tafeln der 10 Gebote.
- Die Frage aber ist: "Wer ist mein Nächster?" Erst in der
Antwort
aus der Frage wird aus einem allgemeinen Gesetz eine anwendbare
Lebensregel.
Ich kann doch nicht alle Menschen lieben. Soll ich daher nur meine
Freunde oder
Glaubensgenossen lieben? Jesus antwortet mit dem Beispiel des
Samariters. Die
Leute aus Samarien galten den Jerusalemer Juden als abtrünnig und
Irrgläubige.
Um solche machte man einen weiten Bogen - so weit wie der Priester und
der Levit
ihren Bogen um den Mann machen, der ausgeraubt und zusammen geschlagen
wurde.
Kaum dass sie ihn sehen, machen sie einen weiten Bogen um ihn, um nur
ja nicht
angesprochen und angefragt zu werden (was hier mit "ging weiter"
übersetzt
ist, antiparerchomai, bedeutet eigentlich, im weiten Bogen
vorbeigehen).
- Nur der Samariter sieht ihn und lässt sich von dem Unglück berühren.
Er hat sicher auch Besseres zu tun. er hat sicher auch Angst, dass die
Räuber
noch in der Nähe sind. Er ist auch unsicher, was er tun kann. Aber
sein
Herz lässt sich vom Unglück berühren, und er tut, was er kann.
Jesus erzählt dieses kontrastreiche Beispiel, damit wir uns fragen
können,
wie wir reagiert hätten. Im Letzten werden wir das nur wissen, wenn
wir
in einer solchen Situation sind. Die Situation fordert uns heraus. Im
konkreten
reagiert das Herz.
3. Wem
bin ich
Nächster
- Die Abschlussfrage Jesu sollte sorgfältig gelesen werden: "Wer
von
diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den
Räubern
überfallen wurde?" Hatte der Schriftgelehrte erst noch gefragt "Wer
ist mein Nächster?", so wird jetzt umgekehrt gefragt, wer sich als
der Nächste des Zerschlagenen erweist. Der Samariter wurde einem
anderen
zum Nächsten. Nicht er hat sich einen Nächsten ausgesucht. Die
Situation
und sein waches Herz haben den Samariter verwandelt. Er ist vom Fernen
zum Nächsten
geworden.
- Leben finden wir nicht für uns selbst. Leben finden wir im
Anderen. Jesus
zeigt seinem Jünger, dass die Antwort in der jüdischen Thora
enthalten
ist: "Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all
deiner Kraft
und all deinen Gedanken" und "den Nächsten lieben wie mich
selbst",
das ist nicht eine Vorbedingung für "ewiges Leben" das ich,
im
nachhinein, als Belohnung bekäme. Das ist das Leben, volles, ganzes,
ewiges Leben. Wir finden es, wo wir uns zum Nächsten machen lassen
durch
die Situation, die wir vorfinden und indem wir nicht einen weiten
Bogen darum
machen, sondern unserem Herzen vertrauen.
- Die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe ist nicht das Neue am
Evangelium.
schon die 10 Gebote binden das Verhältnis zu Gott und zum Nächsten
eng zusammen. Das Neue ist, dass Gottes- und Nächstenliebe in Jesus
zusammenfallen.
Er ist derjenige, der unter die Räuber gefallen ist, und er ist
derjenige,
in dem wir Gott begegnen. In ihm trägt jeder, dem wir begegnen, das
Antlitz
Gottes. Deswegen wird die Zuwendung zu dem, der uns braucht, göttlich,
und deswegen finden wir darin die liebende Gemeinschaft mit Gott und
mit einander.
Das ist die Botschaft des Evangeliums. Das ist kein Kategorischer
Imperativ,
was wir tun sollen. Das ist der Weg, das Leben zu haben. Amen.