Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 15. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Epheserbrief)

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15. Juli 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Der Sinn aus Beziehung

  • Für mich alleine ergibt das Leben keinen Sinn. Wenn ich anfange, über den Sinn des Lebens nachzudenken (was nicht täglich vorkommt), dann bin ich sehr schnell bei anderen Menschen. Ich, für meinen Teil, kann mir nicht vorstellen, dass der Sinn meines Lebens, sich aus mir selbst allein ergibt. Dabei halte ich mich nicht für einen extrem überdurchschnittlich unangenehmen Zeitgenossen, so dass dies der Grund sei. Vielmehr hat für mich der Sinn meines Lebens sehr viel mit Gemeinschaft zu tun, damit was ich mit anderen, von anderen her und für andere bin.
  • Es scheint so, dass ich mit dieser Einschätzung nicht alleine bin. Es dürfte eine Grundtatsache sein, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist: "es ist nicht gut, dass das Menschenwesen allein sei" (Gen 2,18). Nur weil es andere gibt, haben wir Sprache; nur weil uns andere beim Namen nennen, wissen wir um uns selbst. Ohne den romantischen Sinn des Wortes zu bemühen kann man auch sagen: Als Menschen sind wir auf Liebe angelegt.
  • Es gibt Momente, in denen sich zwei Menschen in dieser Liebe voll genügen. Die alleinige Fixiertheit auf nur einen Menschen erweist sich aber als nicht auf Dauer belastbar. Für viele Menschen ist die 'erweiterte' Zweierbeziehung, die Familie, der Beziehungsrahmen, in dem sie den Sinn des Lebens erfahren. Aber auch da kommen eigentlich immer andere Menschen hinzu, Freunde, Kollegen, vielleicht auch immer wieder die Erfahrung 'unter die Leute zu kommen'. Hinzu kommen auch Sinnerfahrungen in viel größeren Maßen: Beim Fußball fühlen sich manche als Teil einer Nation. Für einen gläubigen Christen wird die Gemeinde und/oder die große Gemeinschaft der Kirche ein solcher Bezugsrahmen sein. Und dann gibt es wieder die ganz anderen Momente, in denen ein mir völlig Fremder zum Nächsten wird, weil er mich braucht oder ich ihn. Der Sinn des Lebens hat für mich eindeutig etwas mit all diesen Beziehung zu tun.

2. Der kosmische Beziehungsstifter

  • Die Erfahrung mit Gott ist: Gott ist ein Beziehungsstifter. In der symbolischen Erzählung der Bibel heißt es: Gott führt Adam und Eva zusammen (und zuvor schon Mensch und Tier). Aber auch in der Geschichte des Glaubens ist das der rote Faden: Gott beruft sich ein Volk, führt es zusammen und lehrt es, wie es in Gerechtigkeit und Liebe zusammen leben kann. Jesus ist in den Jahren seines öffentlichen Auftretens vornehmlich damit beschäftigt, Menschen zusammen zu führen, insbesondere die, die am Rande stehen, Arme, Kranke, von bösen Geistern Umhergetriebene und Sünder. In der Zeit der Kirche setzt sich das fort, wenn durch die Apostel das Evangelium zu allen Völkern getragen wird.
  • Der Epheserbrief formuliert das in einem frühchristlichen Hymnus. Nicht nur wir Christen sind dabei im Blick; wir erfahren durch die Taufe und in der Eucharistie die Gemeinschaft mit Christus. Vielmehr wird hier nur im Leben der Kirche und im Ritus des Gottesdienstes ausdrücklich und erfahrbar, was der Sinn der ganzen Schöpfung ist: Gott ist dabei "in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist". Gott ist in Christus selbst Schöpfung, Mensch unter Menschen, geworden, damit alle Menschen und die ganze Schöpfung zur Gemeinschaft geführt wird. Die Kraft, die dies in der Geschichte der Menschen und in der ganzen Schöpfung bewirkt, ist Gott selbst, der Heilige Geist.
  • Christlicher Glaube versteht sich daher dreifaltig - oder er versteht sich nicht. Gott ist in jedem Augenblick der Ursprung der Welt und von allem, was es gibt. Aber wir, in unserer Menschengeschichte, haben "das Wort der Wahrheit gehört", durch das uns Gott "das Geheimnis seines Willens kundgetan" hat. Die "Wahrheit" ist, dass Gott in dieser Menschenwelt gegenwärtig geworden ist. Indem wir diese Wahrheit annehmen und in den Glauben hineinführen lassen, verstehen wir das Wirken Gottes und werden Teil davon. Wir haben "das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen": Gott hat uns in Christus berufen, an seinem Werk als Beziehungsstifter mitzuwirken und durch unseren Lobpreis und durch die Weise wie "wir heilig und untadelig leben vor Gott" für uns und die Menschen den Sinn des Lebens erfahrbar machen.

3. Den Sinn des Lebens feiern

  • Ich gehöre nicht zu den Menschen, die häufig über den Sinn des Lebens nachdenken. Irgendwie berührt das etwas so Grundlegendes, dass ich es ein wenig scheue, das in Worte zu packen. Denn es gibt auch die Erfahrung von Einsamkeit und Zweifel, es gibt Frustrationen und auch die Konfrontation mit Leid. Echtes Leid ist mir in meinem Leben bisher erspart geblieben, aber das ist ein nicht selbstverständliches Geschenk.
  • Gerade deswegen weiß ich auch, dass der Glaube an das Evangelium ebenfalls ein Geschenk ist. Ich darf für Freunde und eine Familie dankbar sein, die mir diesen Glauben so vermittelt haben, dass ich in ihm mein Leben und 'das' Leben unter dem Strich als sinnvoll erleben darf.
  • Weil ich scheue, all dies in Formeln zu packen, bin ich dankbar für die Orte des Glaubens, die diesen Sinn des Lebens erlebbar zum Ausdruck bringen. Der Text aus dem Epheserbrief dürfte auf einen Hymnus im Gottesdienst zurück gehen. Hier, in unserer gemeinsamen Feier der Eucharistie, findet das in Symbolen und Texten Ausdruck, wofür mein eigenes Leben zu klein wäre. Gott hat mit uns und mit dieser ganzen Welt einen Plan. Er führt Menschen zusammen und ist unbeirrbar in seinem Heilsplan: "in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist". Amen.