Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel 2004

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15. August 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt,

1. Papstbesuche

  • Vor einundzwanzig Jahren hat Papst Johannes Paul II. zwei wichtige Auslandsreisen gemacht. Beide waren hoch politisch. Beide sollten nicht nur die Kirche, sondern sogar die weltpolitische Lage verändern. Die erste Reise führte ihn im März 1983 nach Mittelamerika. Die zweite Reise drei Monate später, im Juni, nach Polen, in seine Heimat.
  • In Nicaragua war in einer Revolution das alte Regime gestürzt worden. Unter der Beteiligung von Teilen der katholischen Kirche, darunter des bekannten Priesters Ernesto Cardenal, war es gelungen, ein korruptes menschenverachtendes Regime aus der Macht zu drängen. Den Sieg der Sandinisten feierten viele - vor allem auch hierzulande - als den Sieg der Befreiungstheologie oder gar als Beginn des Reiches Gottes. Andere waren skeptischer. Die kommunistischen Vorzeichen dieser Revolution und die Unterstützung durch Castro, der in Kuba die Kirche massiv unterdrückt, waren dazu Anlass. Bei seinem Besuch in Nicaragua gab es daher auch Mahnungen des Papstes insbesondere an die Priester in der neuen Regierung.
  • Drei Monate später in Polen war die Situation eine andere. Hier hatten sich der Arbeiterführer Lech Wa??sa und die Gewerkschaft Solidarno?? unter den Schutz der Gottesmutter gestellt und damit dem Widerstand gegen das kommunistische Regime ungeahnte Kraft gegeben. 1981 hatte das Regime versucht, die Situation mittels Kriegsrecht in den Griff zu bekommen. Nun, 1983, kam der Papst in seine Heimat, um die Hoffnung, wie er sagte, zu stärken. Dieser Besuch 1983 gilt heute als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Sturz der Sowjetunion und ihrer Herrschaft über Mittel- und Osteuropa.

2. Mariä Himmelfahrt

  • Das Fest Mariä Himmelfahrt ist nicht unpolitisch. Genauer gesagt: Die politische Kraft der Marienfrömmigkeit in manchen Epochen der Kirchengeschichte hat zutiefst mit dem zu tun, was wir an diesem Fest feiern. Denn, egal was immer "leibliche Aufnahme in den Himmel" genau bedeutet, mit diesem Fest wird jeder einseitigen Spiritualisierung des christlichen Glaubens widersprochen.
  • Der Glaube an die "Auferstehung des Fleisches" gehört zum Kernbestand des Christentums. Die Jünger betonen, Christus sei ihnen nicht nur geistig als Auferstandener erschienen. Nein, sie sagen, sie hätten "mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken" (Apg 10,41), vor ihren Augen wurde er in den Himmel aufgenommen (Apg 1,9-11), in seinem Leib ist er im Sakrament gegenwärtig. Das alles ist analoge Sprache. Es ist "so wie", aber doch anders. Aber an dieser leiblichen Sprache und Vorstellung hat die Kirche immer festgehalten, gerade gegenüber den Versuchen, die Beziehung zu Gott zu etwas rein Innerlichen verkommen zu lassen.
  • Die Verwandlung durch Gott geschieht nicht nur an einer rein geistig gedachten "Seele". Die "Aufnahme" in den Himmel meint die Aufnahme in die Wirklichkeit Gottes. Diese neue Gottesbeziehung, das drückt die Rede von der "leiblichen Aufnahme" aus, meint nicht nur einen Teil von uns, sondern uns als ganze, durch die Seele geprägte, im Leib und in der Geschichte lebende Menschen. Mit dem Fest der Aufnahme Mariä in den Himmel feiert die Kirche also die Hoffnung auf ganzheitliche Verwandlung. Die Vollendung geschieht in und nach unserem Tod. Aber so, wie wir glauben, dass der Glaube in unserem Geist schon hier, in Raum und Zeit, etwas von dieser kommenden Wirklichkeit erfährt, so bekennt der Glaube, dass die neue Gottesbeziehung auch hier schon unseren "Leib", unsere persönliche wie gemeinschaftliche Wirklichkeit, verändern kann und verändern wird. Wie das Brot der Eucharistie mit dem Mund gegessen wird und zugleich Gemeinschaft feiert, so ist der ganze Glaube leiblich und geschichtlich. Das ist durchaus politisch. Damit wird jeder einseitigen Spiritualisierung des christlichen Glaubens widersprochen.

3. Politische Mariologie

  • Der Papst wurde 1983 in Nicaragua wie in Polen mit politischer Theologie konfrontiert. Beides Mal ging es um Befreiung. Dennoch hat er sehr unterschiedlich reagiert. Das hat zum einen damit zu tun, dass das Befreiungsprogramm in Nicaragua mit dem Label "sozialistisch" daherkam. Was Sozialismus bedeutet, kannte der Papst zur Genüge, und auch bei der neuen sandinistischen Regierung zeigten sich Anfänge von Repression gegen die Kirche. Das aber hatte mit dem zweiten Unterschied zwischen Nicaragua und Polen zu tun. In Mittelamerika waren immer Teile der Kirche und vor allem auch der Hierarchie mit den rechten Diktattoren verbandelt. Selbst der chilenische Diktator Pinochet fühlte (und fühlt!) sich als guter Katholik. In Polen hingegen war die Front recht klar: Die Kirche stand auf Seiten des Volkes gegen die Diktatur.
  • Der andere Unterschied 1983 zwischen Nicaragua und Polen aber war Maria. Der Arbeiterführer Lech Wa??sa trat immer mit dem Bild der Muttergottes von Tschenstochau auf. An der Madonna von Czenstochowa machte sich schon immer der katholisch-polnische Widerstand gegen die Fremdherrschaft und Diktatur fest. Maria ist die Patronin des Widerstandes. Maria stand unter dem Kreuz Christi in dessen Leiden. Maria steht, so der feste Glaube, auch Polen zur Seite, wenn das Volk leidet. Das Bild von Tschenbstochau selbst hat unter Gewalt gelitten; zwei gewaltsame Schwertschnitte zeichnen seit dem Mittelalter tränengleiche Kerben in das Gesicht. Diese Maria, die Maria unter dem Kreuz, wussten die Menschen bei Gott und haben sie daher als ihre Fürsprecherin, als Patrona Poloniae, angerufen. Diese Patronin hat den Menschen Kraft gegeben und geholfen, dass der Glaube nicht einseitig vergeistigt wurde, sondern aus diesem Geist politische Kraft werden konnte.
    Wer das Loblied der Maria aus dem heutigen Evangelium liest, weiß wie politisch Maria von Anfang an ist. In diesem Loblied, dem "Magnificat" lobt Maria ihren Gott als einen, der "zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen." Das ist ganz aus der Perspektive der Unterdrückten gesprochen. Die Leiblichkeit der Aufnahme Mariens in den Himmel, wahrt die Hoffnung, dass Gott in die leiblich-geschichtliche Gegenwart hinein wirkt.
  • Was aber, wenn die Mächtigen vom Thron gestürzt sind? Was wenn die Niedrigen an der Macht sind? Beginnt dann das Spiel von Neuem, diesmal mit den Christen an der Macht. Das Robin-Hood-Dilemma ist klar: Nimmt er es von den Reichen und gibt er es den Armen, dann sind die Armen die Reichen - soll er die nun berauben? Wenn die Erniedrigten, Maria an ihrer Seite, die Diktatur abschütteln, entsteht eine gefährliche Situation. Taugt diese Spiritualität noch in der Regierungsverantwortung? Auch Maria selbst ist doch zwiespältig. Ausweislich gerade des Lukasevangeliums (Lk 8,21) musste Jesus sich von ihr mit deutlichen Worten und Gesten absetzen. Zwischen Kindheit und Kreuz ist das Verhältnis zum Sohn distanziert und gespannt. In seinem Leiden aber steht sie bei ihm. Diese Spannung verweist darauf, dass "Aufnahme in den Himmel" auch eine Distanz bedeutet. Maria ist uns vorausgegangen in die volle Wirklichkeit des Gottesreiches. Wir, als Kirche unterwegs, sind noch nicht in der Fülle dieses Gottesreiches. Wir dürfen Maria selig preisen. Wir dürfen sie an ihrer Seite wissen. Aber wir dürfen sie, gerade das besingt das Magnificat, nie dafür in Anspruch nehmen, Reichtum und Macht zu legitimieren. Amen.