Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest Kreuzerhöhung 2008

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14. September 2008 - Universitätsgottesdienst St. Antonius, Frankfurt

1. Tote Bilder

  • Materie ist tot. Nur der Geist macht lebendig. Das klingt im Raum einer Kirche so selbstverständlich, dass man kaum darüber reden mag. Gerade deswegen aber ist es immer wieder im Laufe der Jahrhunderte ein Thema gewesen, ob und wie wir uns gerade als Christen nicht vielleicht zu sehr am Materiellen ausrichten, statt Menschen aus dem Geist zu sein. Entzündet hat sich das Thema nicht zuletzt an der Frage, ob wir in unseren Kirchen Bilder aufhängen sollen, wo wir doch Gott allein anbeten sollten.
  • Das Fest Kreuzerhöhung geht zurück auf das vierte Jahrhundert. Die Hl. Helena, Mutter des ersten christlichen Kaisers Konstantin, war 326 nach Jerusalem gereist und veranlasste Grabungen. Denn Anfang des 2. Jahrhunderts hatten heidnische Kaiser bewusst über den christlichen Gebetsstätten Tempel errichtet. Die Christen in Jerusalem aber hatten immer gewusst, dass dort, wo Hadrian seiner Lieblingsgöttin Aphrodite einen Tempel erbaut hatte, der Ort der Hinrichtung und unweit davon der Ort der Grablegung Jesu war. Dort veranlasste Helena Grabungen und habe das Kreuz Jesu in einer verschütteten Zisterne gefunden. In einem Fest am 14. September wurde das so gefundene Kreuz feierlich "erhöht", das heißt den Christen zur Verehrung gezeigt. In der Ostkirche hat dieses Fest eine große Bedeutung, aber auch in unserer Westkirche feiern wir es heute.
  • Aber das Holz ist tote Materie. Es fällt leicht darüber zu spotten, dass diese Materie in kleinen Splittern in unzähligen Kirchen verehrt wird (wobei ein Kreuzigungsbalken genügend Splitter hergibt, um die vielen Kreuzes-Reliquien möglich zu machen, entgegen dem was Otto v. Corvin in seinem aufklärerischen Pfaffenspiegel spottet, man hätte aus den Splittern ein ganzes Kriegsschiff bauen können - viel zitiert und trotzdem falsch). Aber dahinter steckt eine ernst geführte Diskussion, im Bilderstreit während des 8. und 9. Jahrhunderts und in der Reformation bei Zwingli und Calvin wurde nicht nur argumentiert, sondern auch gehandelt: Die Bilder wurden aus der Kirche entfernt und verbrannt. Die Seele des Menschen solle sich Gott zuwenden und nicht leblosen Bildern oder totem Holz. Das Fest der Kreuzerhöhung - Erhöhung von einem Stück Holz - erscheint als götzendienerische Verehrung von Materiellem. Das diese Bilder oder das Kreuz nicht angebetet werden, sondern eben nur verehrt, wollten die Bilderstürmer nicht als Entschuldigung gelten lassen.

2. Bilderkult

  • Bilder sind bei uns allgegenwärtig. Ob gemalt, gedruckt, projizieret oder elektronisch, ob zuhause, an Plakatwänden, in Zeitschriften oder im Kino - wohl keine Zeit war so sehr von Bildern umgeben wie unsere. Die Allgegenwart von Bildern und Piktogrammen wird sogar verantwortlich gemacht für den neuen Analphabetismus.
    Dabei sage niemand, es gehe heute ja nur um Bilder. Der Bilderkult ist lebendiger denn je. Bilder von Kaiser Wilhelm vor hundert Jahren in jedem deutschen Wohnzimmer bis zum Bundespräsidenten heute im Gerichtssaal, Starbilder nicht nur in Teenie-Zimmern, ganze Wände tapeziert und unzählige Photobände gefüllt mit Familienphotos. Die Liste ließe sich verlängern.
  • Drei Funktionen sehe ich. Bilder drücken aus, wer hier das sagen hat. Ersatzweise hält dafür eine Flagge her. Der Bilderkult der Nazis und Sowjets hat das hierzulande etwas zurücktreten lassen. Bilder drücken Verehrung oder Hingabe aus. Dass das heute medial erschaffene Stars statt Heldinnen oder Helden des realen Lebens sind, wirkt manchmal besonders bizarr. Aber schließlich gilt drittens: Bilder können Gemeinschaft schaffen. In seinen vier Wänden kann man zeigen, wo man dazu gehört und wo nicht. Und schließlich, das darf man nicht vergessen, gibt es auch heute magische Erwartungen an Bilder oder Amulette (und vielleicht gehören die Bilder der Familie oder Freunde auch manchmal in diese Richtung beschwörender Darstellung).
  • Ich zähle das nicht auf, um es schlecht zu machen. Das machen zu allen Zeiten die Bilderstürmer, die sagen: Bilder sind nur tote Materie - und müssen weg. Oder umgekehrt: Bilder sind nicht nur tote Materie, sondern gefährlich und schlecht - und müssen weg. In gewisser Weise gehört der Purismus in der Kunst des 20. Jahrhunderts dazu. Während die Bilderflut überall zunimmt, werden in den Museen Bilder ausgestellt, die versuchen, immer weniger zu zeigen. Man soll nichts mehr oberflächig erkennen, sondern durch die Kunst angeregt sich mit sich selbst auseinander setzen. Naturalistische Bilder seien gefährlich, weil das Subjekt sich darin verliert. Das "eigentliche" und "authentische" sei nicht darstellbar sondern müsse subjektiv erarbeitet werden. In diesem Zwiespalt von Suche nach Authentizität und Äußerlichkeit steckt jeder von uns täglich.

3. Erhöht

  • In dieser Gemengelage feiern wir das alte Fest Kreuzerhöhung. Die Lesungen des Festes stellen unser Thema in das Zentrum des Glaubens. Jesus selbst deutet im Johannesevangelium den Zusammenhang zwischen der Erhöhung eines Bildes durch Mose und seinem eigenem Schicksal am Kreuz. Im Buch Numeri (dem "Vierten Buch Mose") ist wahrscheinlich die Erinnerung an die Umfunktionierung heidnischer Schlangenfiguren durch Mose festgehalten. Die Figuren sollten magisch vor Schlangenbissen schützen. Mose lässt die Kupferschlange nehmen und hängt sie an einen Pfahl. Er "erhöht" sie. Was heidnisch als Beschwörung von Giftschlangen gedacht war, bewirkt jetzt einen Blickwechsel: von der Bedrohung am Boden hin nach oben in Blickrichtung auf den unsichtbaren Gott. (Diese Geschichte zeigt übrigens, dass das Bilderverbot im Alten Testament nicht absolut zu verstehen ist.)
  • Der Vergleichspunkt ist die Erhöhung. "Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat." Damit deutet das Evangelium das Verhältnis von Materie und Geist, Himmel und Erde. Ja, der Himmel ist die Vollendung und das Ziel, denn er ist die volle Gemeinschaft mit Gott. Aber der Ort, an dem Gott dieses Werk mit der Vollendung mit uns beginnt, ist die Erde. Die Materie ist nicht minderwertig, wie Geistphilosophen, Esoteriker und Bilderstürmer aller Zeiten meinten. Johannes von Damaskus hat das im 8. Jahrhundert im Bilderstreit hervorgehoben und wurde durch das Zweites Konzil von Nicäa 787 n.Chr. bestätigt: "In alter Zeit wurde Gott, der keinen Körper und keine Gestalt besitzt, bildlich überhaupt nicht dargestellt. Jetzt aber, da Gott im Fleische sichtbar wurde und mit den Menschen umging, kann ich das an Gott sichtbare Bild darstellen. Ich bete nicht die Materie an, sondern ich bete den Schöpfer der Materie an, der um meinetwillen selbst Materie wurde und es auf sich nahm, in der Materie zu leben, der mittels der Materie meine Rettung ins Werk setzte." Gott selbst hat Materie angenommen, das ungeschaffene Wort wurde Mensch. "Das Kreuzesholz, das überglückliche und überselige, ist es vielleicht nicht Materie? (...) Mach die Materie nicht schlecht! Sie ist nämlich nicht ehrlos. Denn nichts ist ehrlos, was von Gott kommt."(1)
  • Bilder sind nicht schlecht. Reliquien sind nicht schlecht. Materie ist nicht schlecht. Sie kommt von Gott und kann daher ein Weg zu Gott sein. Deswegen ist die "Erhöhung" das Entscheidende des heutigen Festes. Das Kreuz, das zum Martern geschaffen wurde, wird zum Werkzeug der Liebe, weil Christus daran erhöht wird. Er lenkt nicht nur unseren Blick zu Gott, er nimmt "jeden der an ihn glaubt" mit hinein in die Erhöhung. So kann der Glaube zu einer Weltbejahung werden, wenn wir in allem den Weg zu Gott suchen. Alles kann für uns zu einem mehr an Glaube, mehr an Hoffnung und mehr an Liebe werden, wenn wir uns selbst dabei nicht als Besitzer und Herrscher aufführen, sondern der Hingabe des Gekreuzigten anschließen. Amen.

 


 

Anmerkung:
Das Zitat des Johannes von Damaskus im Zusammenhang: "In alter Zeit wurde Gott, der keinen Körper und keine Gestalt besitzt, bildlich überhaupt nicht dargestellt. Jetzt aber, da Gott im Fleische sichtbar wurde und mit den Menschen umging, kann ich das an Gott sichtbare Bild darstellen. Ich bete nicht die Materie an, sondern ich bete den Schöpfer der Materie an, der um meinetwillen selbst Materie wurde und es auf sich nahm, in der Materie zu leben, der mittels der Materie meine Rettung ins Werk setzte. Und ich werde nicht aufhören, die Materie zu verehren, durch die meine Rettung bewirkt ist. Ich verehre sie aber nicht als Gott: keine Spur! Denn wie könnte das Gott sein, was aus dem Nichtseienden seine Entstehung erhielt? Wenn auch der Leib Gottes Gott ist, durch die substantielle Vereinigung unveränderlich zu dem geworden, was ihn gesalbt hat, und zugleich das geblieben ist, was er von Natur aus war, nämlich von einer denkenden und vernünftigen Seele beseeltes Fleisch, das einen Anfang hatte und nicht zu den unerschaffenen Wesen gehört. Die übrige Materie aber verehre und achte ich, durch die meine Rettung zustande kam, da sie von göttlicher Wirkkraft und Gnade erfüllt ist. Das Kreuzesholz, das überglückliche und überselige, ist es vielleicht nicht Materie? Der ehrwürdige, heilige Berg (Kalvarienberg), die Schädelstätte (Golgotha), sind sie nicht Materie? Der lebenbringende, lebenspendende Fels, das heilige Grab, die Quelle meiner Auferstehung, sind sie nicht Materie? Das Gold und Silber, aus dem die Kreuze, Patenen und Kelche hergestellt werden, ist es nicht Materie? Und ist nicht vor all dem anderen der Leib und das Blut unseres Herrn Materie? Schaffe also den Kult und die Verehrung all dieser Dinge ab oder überlasse der kirchlichen Überlieferung auch die Verehrung der Bilder, die durch Gottes"und meiner Freunde Namen geweiht und auf diese Art durch die Gnade des göttlichen Pneumas beschattet sind. - Mach die Materie nicht schlecht! Sie ist nämlich nicht ehrlos. Denn nichts ist ehrlos, was von Gott kommt."
Johannes von Damaskus I,16 (Migne PG 94) (1245 AC) zitiert nach: Schönborn OP, Christoph: Die Christus-Ikone. Eine theologische Hinführung. Schaffhausen (Schweiz) (Novalis) 1984.