Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 13. Sonntag im Lesejahr C 2001 (Lukas)

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1. Juli 2001 - St. Michael, Göttingen

1. Nachfolge-Typen

  • Das Evangelium berichtet von drei Menschen. Zwei sind auf Jesus zugegangen. Auf einen geht Jesus zu.
    • Der erste ist gerade heraus. Jesus ist auf dem Weg. Er geht neben Jesus her und noch im Gehen sagt er: "Ich will dir folgen, wohin du auch gehst." Jesus sagt weder nein noch ja zu diesem Angebot. Er weist den Mann nur auf die Konsequenzen hin. " Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann."
    • Den zweiten spricht Jesus von sich aus an. Wir wissen nicht warum. Dieser wiegelt nicht ab; er scheint nicht grundsätzlich abgeneigt, aber er hat noch etwas zu erledigen: "Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben." Die Antwort Jesu könnte nicht härter sein: "Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!"
    • Der dritte schließlich kommt von sich auf aus Jesus zu, aber auch er hat noch etwas zu erledigen, was mehr als nur verständlich erscheint: "Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen.". Aber wiederum ist die Antwort Jesu schroff: "Keiner, der die Hand an den Pflug legt und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes."
  • Wer kann da noch, wer will da noch von Nachfolge reden? Das Evangelium - "Gute Nachricht" soll es sein! - macht es uns nicht leicht. Von Seiten Jesu ist Nachfolge anscheinend ein kaum erfüllbares Unterfangen.
  • Dagegen scheinen uns die drei Typen, die das Evangelium zusammenstellt, nachvollziehbar. Lukas schildert Menschen, die bei Jesus eine religiöse Heimat suchen. Sie suchen einen realistischen, gangbaren Weg, um Christen zu sein, das heißt, um Christus nachzufolgen. Jesus aber macht es ihnen nicht leicht.

2. Nachfolge-Hindernisse

  • Die beiden Jünger, die die Nachfolge mit einer Bedingung verknüpfen, bitten um nichts Außergewöhnliches. Der eine will zuvor noch seinen sozialen und religiösen Pflichten genügen. Der andere will gar nicht mehr, als einfach nur Abschied nehmen von seiner Familie.
    Jesus zeigt sich dem gegenüber nicht gerade von seiner einfühlsamen Seite. Für wen das schroffe Verhalten Jesu nicht zumindest befremdlich ist, der sollte sich selbst fragen, ob er sich irgendetwas vorstellen kann, das ein so rücksichtsloses Verhalten nicht nur rechtfertigt, sondern sogar fordert: Weggehen unter Vernachlässigung elementarer sozialer Pflichten.
  • Der erste der drei Jünger muss lernen, dass Nachfolge den Verlust von Geborgenheit bedeutet. Wer sein Leben hier mit Jesus gestalten will, wird darauf gefasst sein müssen, dass er sich unbehaust fühlt. Beim zweiten und dritten setzt Jesus noch eins drauf. Kein Blick zurück passt zum Programm der Nachfolge. Das Selbstverständlichste ist eigentlich nicht mehr möglich.
  • Überraschender Weise wird die Radikalität Jesu verständlich, wenn wir strikt die beiden Reaktionen Jesu zusammen nehmen. Dem einen prophezeit er den Verlust von Geborgenheit, von den anderen fordert er: Kein Blick zurück! Beide Reaktionen machen deutlich, dass sie unmittelbare Konsequenz einer Verheißung sind: Da ist eine Zukunft für dich! Nur wenn Du dich innerlich ganz von Gegenwart und Vergangenheit frei machst, kannst Du klar sehen, wie viel größer die Zukunft ist, die Gott schenkt.

3. Nachfolge Christi

  • Die Situation ist für uns anders - und komplizierter! - als für die drei Jünger im Evangelium. Zumindest kommt es uns so vor. Gerade deswegen sollten wir der Radikalität nicht ausweichen. Nicht das Abschiednehmen und nicht die sozialen Pflichten will Jesus schlecht machen. Er deckt aber auf, dass wir immer dazu neigen, uns in einem Geflecht von Wenns und Abers zu verstricken, wo wir gefordert wären.
    In der Debatte um den Verbrauch embryonaler Stammzellen ist mir das noch einmal deutlich geworden. Da wird von vielen über Standortvorteile diskutiert. Da wird mit dem Fortschritt argumentiert. Da wird darauf hingewiesen, wenn nicht wir, dann täten es andere. Dabei ist die Frage doch nur: Tritt uns in diesen Stammzellen das Antlitz eines Menschen gegenüber? Wenn dem so ist, dann darf ich sie für keinen Zweck verbrauchen. Dieses Wettbewerbsargument fragt nicht mehr: Was ist richtig? Was ist Menschenwürde?, sondern: Was tun die anderen? und: Gehören wir noch zur globalen Oberliga? Wenn nicht, dann muss man halt, mit Seufzer des Bedauerns, tun, was eigentlich unvereinbar ist mit den eigenen Wertvorstellungen.
  • Im Evangelium geht es um Nachfolge. Es liegt nahe, dieses Evangelium als "Spezialfall" abzutun. Es sei der Spezialfall von Menschen, die zur Zeit Jesu gelebt haben und von ihm berufen wurden, tatsächlich mit ihm zu gehen, wie die Apostel und andere ihre Familien zurückgelassen haben und mitgegangen sind. - Nur, Lukas hätte dies nicht im Evangelium so pointiert aufgeschrieben, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, dass die Reaktion Jesu gegenüber seinen Zeitgenossen nicht auch noch vierzig Jahre später für die junge Kirche gilt.
  • Ich würde sogar sagen, dass erst die Kirche nach Ostern verstehen kann, was da wirklich vor sich geht. Tatsächlich betont das Evangelium ja mehrfach das Unverständnis der Jünger vor Karfreitag und Ostern. Denn wenn wir die Frage stellen, wozu Jesus auffordert, fällt auf, dass das Programm, das Jesus anbietet, nur einen Punkt kennt: Seine Person. Die ganze Radikalität der Forderung Jesu ist überhaupt nur denkbar, wenn da nichts anderes ist. Wer mit einem politischen oder sozialen Programm, oder gar mit wettbewerbspolitischen Vorteilen argumentiert, um dann die Gegenwart und Vergangenheit derart abstreifen zu können, der ist gefährlich. Nur unter einer einzigen, notwendigen Bedingung ist diese Forderung möglich: Wenn Gott selbst mir in Jesus sein Angesicht zeigt. Vielleicht gelingt es uns, im Blick auf dieses Angesichts die Radikalität des Evangeliums als Befreiung zu erfahren. Amen.