Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr C 2013 (Galaterbrief)

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23. Juni 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

[1. Dank sei Gott, ich bin kein Sklave

  • "Gepriesen sei Gott, dass er mich nicht geschaffen hat als Heiden, als Frau und als Sklaven"1.  Als ich dieses alte jüdische Morgengebet des Mannes zum ersten Mal gelesen habe, nahm ich den gebührenden Anstoß. Der Satz findet sich häufiger als Beispiel für antiken jüdischen Chauvinismus zitiert. Aber beim zweiten Lesen werde ich nachdenklich. Vielleicht betet hier ein Mann nicht aus Hochmut, als ob er etwas Besseres ist als andere; vielmehr könnte hier ein sehr feines Gespür dafür zum Ausdruck kommen, dass unter uns Menschen soziale Unterschiede herrschen, bei denen die einen Gewinner, die anderen Verlierer sind.
  • Nicht um sich über andere zu erheben, würde dann mit diesen Worten gebetet, sondern weil es gar nicht selbstverständlich ist, dass der Beter als freier, jüdischer Mann zu einer privilegierten Gruppe gehört. Es ist ihm bewusst dass Frauen und Sklaven massiv benachteiligt sind; das bringt er in seinem Gebet zum Ausdruck. Und ihm ist bewusst, welch ein Geschenk es ist, zu dem Volk zu gehören, dem Gott sich offenbart hat; auch dies ist keineswegs verdiente Selbstverständlichkeit.
  • Wenn diese Interpretation stimmt, steckt hinter diesem Gebet eine sehr tiefe Erfahrung Gottes: Gott, der in unbegreiflicher Weise Ursprung von allem ist; zugleich Gott, der alle Unterschiede, die wir Menschen machen, relativiert. Darin ist ja auch die hebräische Bibel sehr deutlich, dass Gott auf der Seite der Benachteiligten steht, der Witwen, der Waisen und der Fremden. Es gibt Unterschiede unter den Menschen. Wie sich diese Unterschiede durch uns Menschen auswirken, ist Realität - aber deswegen noch lange nicht in Ordnung.

2. Bleibende verschwindende Unterschiede

  • Das zitierte Gebet wird oft im Zusammenhang der Lesung genannt, die wir heute aus dem Galaterbrief gehört haben.] Paulus mag beim Verfassen daran gedacht haben, als er schrieb "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus". Was aber bedeutet das?
  • Zunächst einmal kann der Satz nicht heißen, dass es die realen Unterschiede unter Menschen nicht mehr gäbe, sobald sie getauft und damit Glieder am Leibe Christi sind. Es bleiben ethnische Unterschiede, es bleiben Geschlechtsunterschiede, es bleiben soziale Unterschiede. Paulus kann nicht gemeint haben, dass diese einfach unter einem uniformen Taufkleid verschwunden wären. Das Verschweigen der Unterschiede nutzt immer nur denen, die 'oben' sind.
  • Wohl aber 'verschwinden' die Unterschiede in einer besonderen Perspektive: der Perspektive Gottes. Gemessen an Gott sind alle diese Unterschiede marginal - ja, dort wo sie Menschen abwerten, sind sie sogar sündiger Widerspruch gegen die Wirklichkeit des einen Gottes. Für Christen gilt daher: Im Vergleich zu unserer gemeinsamen Beziehung zu Christus, im Vergleich zu unserem Vertrauensverhältnis zu Gott, sind diese Unterscheide belanglos: sind wir "einer in Christus".

3. Wertvoll in Christus

  • Bei Bibeltexten ist immer der Zusammenhang in Erinnerung zu rufen. So auch hier beim Galaterbrief. Paulus schreibt an die Christen in dieser kleinasiatischen Region, die von keltischen Stämmen besiedelt wurden (daher der Name 'Galatien') und zum griechischen Kulturraum (daher nennt Paulus sie 'Griechen'). Unter diesen nichtjüdischen Christen scheint es eine Gruppe gegeben zu haben, die - typisch für Konvertiten - im Übereifer meinte, es reiche nicht, durch Jesus Christus in den Glauben zu Gott hinein genommen zu sein. Vielmehr müssten auch nichtjüdische Christen erst einmal jüdische Gebote wie die Beschneidung übernehmen, um richtige Christen zu sein. Gegen diese Verdrehung des Evangeliums schreibt Paulus seinen Galaterbrief.
  • Für den Abschnitt, den wir heute gehört haben, bedeutet das ganz konkret: Männliche jüdische Freie haben weiblichen ausländische Sklaven nichts voraus, wenn es um den Glauben geht. Also heißt die Botschaft an die Frauen: Ihr müsst Euch nicht wie Männer aufspielen!, die Botschaft an die Sklaven: Ihr müsst nicht Eurerseits andere versklaven!, die Botschaft an die Ausländer: Ihr müsst nicht deutscher sein als die Deutschen! Wenn es um die Zugehörigkeit zu Christus geht, dann zählen diese Unterschiede nicht mehr. Meint nicht, ihr seid in den Augen Gottes weniger wert, nur weil ihr das in den Augen der Menschen seid!
  • Damit ist natürlich auch etwas über uns als Gemeinde gesagt. "Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt". Das bedeutet doch: dass jedes Kleid, ob teuer oder schäbig, außer dem Taufkleid hier bedeutungslos sein soll. Nur so kann der Gottesdienst ein Ort sein, an dem ich das Ranking, nach dem ich Menschen bewerte, zu Kreuze trage, und beginne, die Menschen mit den Augen Gottes zu sehen: Der an uns glaubt und uns einlädt, ihm glaubend zu vertrauen. Gepriesen sei Gott, dass er mich geschaffen hat als sein geliebtes Kind und mich dies im Glauben erkennen lässt. Amen.

 


 

Quellenangabe: Hermann L. Strack / Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Band III, S. 611.