Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr A 1999 (Matthäus)

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20. Juni 1999 - St. Barbara, Krakau,

1. Fürchtet Euch nicht

  • "Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht!"
    Es ist wahr: Kein Spatz fällt vom Himmel ohne den Willen des Vaters. Es ist wahr: Grundlage unseres Glaubens an Gott ist, dass Gott ein guter Gott ist, der es gut mit uns meint. Es ist wahr: Die Botschaft des Evangeliums lautet "Fürchtet euch also nicht!" - Aber nichts ist davon gesagt, dass deswegen unser Leben angenehmer würde, dass die Zweifel schwinden, dass all überall Frieden herrscht. Die Erfahrung lehrt anderes, und das Evangelium lehrt anderes.
  • [Maria Doria Russell hat vor zwei Jahren einen großartigen Roman geschrieben und mit "Der Spatz" ("The Sparrow" zur Zeit meines Wissens noch keine deutsche Übersetzung) überschrieben. Ich kann dieses Buch nur jedem empfehlen, der Berufung und Sendung mit wohligem Leben verwechselt. Das Vertrauen in Gottes gute Absichten wird nicht erhärtet durch das Leben, es wird erprobt. Uns geht es darin, wenn wir Christus nachfolgen in nichts besser als unserem Meister, der bekanntlich am Kreuz hing.]
  • Ganz passend hat die Kirche dazu eine Lesung aus dem Buch Jeremia gestellt. Dieser Prophet hat wie kein anderer der Propheten erfahren, dass er das Leid des Volkes am eigenen Leib erfährt. Meinen wir etwa, unsere Zeit, unser Volk sei in allem gottgefällig und auf dem rechten Weg, dass die Verkündigung der Botschaft Gottes uns Anerkennung, Liebe und Zufriedenheit beschert.

2. Gesandt

  • "Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe". Zu Beginn der Aussendungsrede Jesu - wir haben es letzten Sonntag gehört - steht das Mitleid Gottes mit seinem Volk, das müde und erschöpft ist wie Schafe, die keinen Hirten haben. Die Aussendung der Apostel ist die Liebestat Gottes, um diese Schafe, dieses Volk zur Gottesgerechtigkeit und Gottesliebe zurückzuführen. Aber dieses Volk, diese Schafe sind zugleich Wölfe im Schafspelz. Was Jesus (in Mt 7,15) von den falschen Propheten sagt, stimmt leider allzu oft: Sie kommen wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe.
  • Wie immer wird der Sinn des Evangeliums unklar oder gar in sein Gegenteil verkehrt, wenn wir den Text aus dem Zusammenhang reißen, in den er gehört. Hier geht es nicht um allgemeinen Trost Jesu für jedermann. Hier ist der Zusammenhang die Aussendung der Apostel - wir dürfen sagen: der Kirche - in eine Welt, die zutiefst gottfern ist. Dass wir selbst mit dieser Welt gottfern sind, verschärft dies nur. Denn mit der Annahme des Evangeliums (in der Taufe) und unserer Sendung (auch: in der Firmung) hat sich über unser gottfernes Ich Gottes Wort und Gottes Sendung geworfen. Wir, die Kirche wie sie ist, sollen Gottes Wort verkünden.
  • Dazu gehört zunächst einmal, das Wort Gottes zu hören und die Zeichen der Zeit zu verstehen. Immer dann, wenn uns das Wort Gottes allzu gefällig zu uns selbst, zu unseren Plänen und zu unserer Zeit zu passen scheint, legt das den bösen Verdacht nahe, dass wir das Wort Gottes nur gebeugt und uns gefügig gemacht haben. Gerade dort, wo wir uns in der Sicherheit wiegen, jetzt doch das Gute zu tun, übersehen wir am meisten. Demokratie ist schon besser als Diktatur: aber wie viel davon ist Gleichgültigkeit. Marktwirtschaft ist schon besser als Zentralverwaltung: aber wer sieht die Opfer am Rand. Eine starke Kirche und ein populärer Papst sind schon besser: aber wie weit sind wir damit von Jesus und seinem Schicksal entfernt? Unter dieser Rücksicht gefällt mir der Spott der Deutschen über den Papst sogar besser als die Begeisterung der Polen.

3. Das Leben gewinnen

  • Was also ist die Frohe Botschaft am Evangelium? "Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen."
    "Gewinnen wollen" muss uns nicht erst beigebracht werden. Das tun wir. Jesu Wort ist die Warnung an die Gewinner, die nicht mehr sehen, dass sie alles verlieren.
    "Verlieren können" müssen wir erst noch lernen. Denn es geht nicht darum, irgendwie zu verlieren. Man kann sehr wohl verlieren und nichts mehr haben. Aber dennoch könnten diese Verlierer - die Ausgestoßenen, die Sünder, die Armen - leichter das Ohr haben für Gottes Wort, da sie Gott gegenüber nicht erst ihre Errungenschaften verteidigen müssen.
  • Die meisten von uns, wir Priester vorne dran, haben es da bedeutend schwerer. Wir lieben den lieben Frieden zu sehr, um um Gottes Willen etwas zu riskieren. Die Apostel und Petrus vorne dran werden das genauso erfahren haben. Dass sie fast alle als Märtyrer enden, ist nur der Endpunkt, der vollendete Lauf. Aber diese und die vielen anderen Märtyrer, die Verlierer um Jesu willen, sind ein Geschenk Gottes an uns.
  • Vielleicht können wir nur geistlich leben oder als Kirche leben, was die Frohe Botschaft des Evangeliums ist. Aber es bleibt für uns alle gültig, dass nichts verloren ist, was um Jesu willen und um seiner Gerechtigkeit willen verloren scheint. Wo wir angstvoll abseits stehen, weil wir uns einem Trend versagen, wo wir zweifeln, obwohl alle doch so zuversichtlich sind, wo wir den großen Schnitt verpassen, während die anderen auf Erfolgskurs sind, da muss uns dies nicht automatisch Furcht einjagen. Es könnte auch sein, dass wir dabei Schritt für Schritt das Leben gewinnen. Amen