Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr C 2010 (Lukas)

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13. Juni 2010 (nur 9.30 Uhr) - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Umgebung

  • Es gibt Wohnviertel, die bewacht und verschlossen sind, weil dort die Reichen unter sich sein wollen. In anderen Ländern gibt es das mehr, aber auch in Deutschland ist es das nicht ganz unbekannt. Es geht ja nicht nur um Sicherheit. Es geht auch generell um Abgrenzung.
  • Überall gibt es die Tendenz, dass wir Menschen, wenn wir auf uns selbst halten, nicht einfach mit jedermann verkehren wollen. Wir schaffen uns unsere Identität durch die Menschen, mit denen wir uns umgeben. Deswegen haben wir auch eine Verantwortung dafür, wer uns prägt. Wer im Kreis der Spötter sitzt, muss acht geben, nicht zum Spötter zu werden (Ps 1,1).
  • Wirklich schwierig wird es nur dann, wenn ich meine, etwas Besseres zu sein. Wenn ich Menschen als mehr oder weniger wertvoll einsortiere und danach meine Umgebung aussuche, dann ist es nicht mehr harmlos. Wenn ich mich so abgrenze, dass niemand mehr Zugang hat, der nicht zu meiner "peer-group" gehört, dann ist etwas in mir zerbrochen: Die Liebe, die uns das Evangelium aufträgt.

2. Berührungsängste

  • Jesus hat keine Berührungsängste. Das gilt wörtlich. Er hat nicht nur keine Schwierigkeiten, bei dem angesehenen Pharisäer Simon zu Gast zu sein. Er hat auch kein Problem mit der eigentlich peinlichen Szene, dass eine Frau sich in die Gesellschaft drängt und ihm die Füße berührt.
  • Eine Frau, die wohl als Prostituierte bekannt war (die Herren im Raum kannten Sie!), überschreitet alle Schranken der Peinlichkeit. Das Gastmahl fand im Erdgeschoss in einem offenen Raum statt. Sie kommt ungeladen. Sie weint hemmungslos. Die Tränen waschen die Füße Jesu und ihr unschicklich offen getragenes Haar nimmt sie, um damit die Tränen zu trocknen. Man würde sie heute definitiv als emotional instabil einstufen. Die Frau verstößt gegen jede nur denkbare Distanzregel - und doch hat Jesus keine Berührungsängste. Am meisten erstaunt mich fast, dass die Frau das für möglich gehalten hat, dass Jesus sich so berühren lässt.
  • Die Offenheit Jesu zeugt von Freiheit und festem Stand. Jesus weiß, wer er ist und was seine Sendung ist. Er ist nicht abhängig von Urteil und Zustimmung seiner Umgebung. Er weiß Gott in sich. Er lebt ganz aus der Verbindung mit dem Vater im Himmel. Dies macht ihn frei, Berührungen auch dort zuzulassen, wo sie Grenzen sprengt.

3. Güte

  • Sein fester Stand und seine Freiheit erklären, wie er beiden, dem Pharisäer Simon und der namenlosen Frau begegnet. Wenn man das Evangelium aufmerksam liest, dann merkt man, dass Jesus die Frau heraushebt, ohne Simon bloßzustellen. Jesus will Simon, der die Bibel gut kennt, dahin führen zu erkennen, dass nicht entscheidend ist, wo jemand herkommt, sondern wie viel Liebe jemand hat.
  • Deswegen spricht Jesus mit Simon. Ihn gilt es zu mehr Liebe hinzuführen. Die Frau hat diese Liebe bereits. Jesus spricht mit Simon direkt über die Frau: "Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat." Dann aber vermeidet Jesus, Simon direkt Vorwürfe zu machen und bloßzustellen, sondern formuliert allgemein: "Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe." So wird auch deutlich, dass das Evangelium nicht nur diesem Simon, sondern auch uns heute gilt.
  • Wieder einmal nimmt uns Jesus durch sein Evangelium an der Hand. Er führt uns aus unseren vertrauten aber verkehrten Vorstellung hin zum Blickwinkel der Güte Gottes. Nicht wo ein Mensch herkommt und welche Stellung jemand hat, ist entscheidend. Vielmehr sieht Jesus darauf, welchen Weg ein Mensch geht. Simon, der Pharisäer, hat den Respekt Jesu. Alles, was ihm fehlt, ist zu lernen, wie großartig der Weg ist, den die Frau gegangen ist. Sie mag alle Anstandsregeln verletzt haben. Aber sie hat in diesem Augenblick ihres Lebens die unfassbare Güte Gottes erfahren und antwortet darauf mit mehr Liebe, als es mir vielleicht je geschenkt ist. Vor dieser Liebe brauche ich mich nicht zu scheuen. Amen.