Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr C 2001
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17. Juni 2001 - St. Michael Göttingen, Pfarrfest Reinhausen
1. Drei Szenen
- Erste Szene. Göttingen am gestrigen Vormittag. Tausende Bürger
demonstrieren gegen den Aufmarsch der NPD in
dieser Stadt. Die Demonstration macht deutlich, dass Göttingen sehr
viele engagierte Demokraten hat. Die abendlichen
Hauptnachrichten des Medienbetriebes interessieren aber nur die paar
Dutzend Steinewerfer, die Gewalt wollen statt
Demokratie. Hätte es die Sendezeit zugelassen wäre auch ein Redner ins
Bild gekommen. Es ist ein ergrauter
Volkshochschulpädagoge mit Manuskript. Er redet sich, die Augen zwischen
seinen Zeilen und der Menge hin und her
wandernd, in Rage gegen die NPD-Anhänger, "diese Nazis", "dieses dumpfe
Volk", das sich allen pädagogischen
Anstrengungen unzugänglich zeigt.
Da fällt dann das finale Urteil, dass man diese Menschen nicht mehr
bekehren könne, die "kann man nur aufgeben",
"dieses Pack". Ich muss mich konzentrieren, um nicht zu
vergessen, dass er von Menschen redet, deren Würde
unverletzlich ist.
- Zweite Szene. Ein paar Stunden später, am Tresen. Wir unterhalten
uns über den Tag. Eine junge Frau kommt hinzu,
Ende Zwanzig, allein erziehende Mutter. Sie ist wohl zu unpolitisch, um
auf eine NPD-Demo zu gehen. Aber wenn die
Jungs in Springerstiefeln die Richtigen zusammenschlagen, findet sie es
gut: Die Albaner, die Polacken, dieses Pack, das
nach Deutschland gekommen ist und weswegen es den Deutschen jetzt so
schlecht geht. Nichts gegen die Italiener, die
schon lange hier sind. Aber auf die anderen hat sie solchen Hass, dass
sie zuschlagen könne.... - Ich spüre meinen Zorn.
- Dritte Szene. Gepflegter. Im Haus eines vornehmen Mannes namens
Simon. Jesus ist zu Gast. Eine Frau, stadtbekannt als
Prostituierte, hat sich hineingeschmuggelt und salbt Jesus nach
orientalischer Sitte die Füße mit Öl. Jesus lässt sich von
ihr berühren. Simon ist entsetzt. Weiß Jesus nicht um das, was diese
Frau getan hat?
2. Gott lässt sich berühren
- Jesus schafft es, die Sünde Sünde zu nennen - und sich dennoch
vom sündigen Menschen berühren zu lassen. Hinreichend wären
die Gründe für Gottes Zorn, die Welt, dieses Pack, abzuschreiben.
Gott aber lässt sich berühren.
- Was, wenn es ein stadtbekannter Neonazi gewesen wäre? Was, wenn
jeder
von uns wüsste, dass dieser, von dem Jesus sich berühren lässt,
wehrlose Asylbewerber oder Obdachlose durch die Straßen gehetzt hat?
Ist uns Simon, der Pharisäer so unverständlich?
- Hätte Gott den Realitätssinn des Volkshochschulpädagogen
aus Göttingen, wäre die Heilsgeschichte anders ausgegangen. Gott
hätte Vorträge gehalten, über Auschwitz belehrt, dass jeder
einsehen muss, was offensichtlich ist: Nie wieder solches. Wer nicht
einsichtig
ist, wird abgeschrieben.
3. Vergebung
- Noch einmal, in aller Klarheit: Jesus nennt Sünde, was Sünde ist.
Er fordert Umkehr. Er heißt nicht gut, was schlecht ist.
Er deckt nicht zu, wenn Menschen die Würde des anderen missachten. Er
hätte nicht verständnisvoll gelächelt, wenn die
Braunen marschieren. Ganz und gar nicht.
Was Gott von dem in Frust ergrauten Volkshochschulpädagogen
unterscheidet, ist, dass Gott damit rechnet, dass die
Erfahrung der Liebe, die er, Gott, schenkt, jeden Menschen erreichen
kann, wie tief einer auch gesunken sein mag. Es
gibt keinen Abgrund, über den Gott hinweg sehen würde. Es gibt keinen
Abgrund, in dem ein Mensch von Gott
unbeachtet bliebe.
- Gott wartet nicht auf die Bekehrung, sondern geht den ersten
Schritt. Nicht als Belohnung für unsere Gerechtigkeit geht
Gott auf den Menschen zu. Gott beginnt damit, sich berühren zu lassen,
selbst dort, wo Menschen ihn mit Nägeln und
Lanze durchbohren. Gerechtigkeit, sagt Paulus, ist nur zu finden, wenn
wir uns von diesem Gott anrühren lassen, der den
ersten Schritt tut. (An Jesus Christus glauben ist ein anderes Wort
dafür). Noch vor aller Einsicht ist da der Gott, "der
mich geliebt und sich für mich hingegeben hat". Selbst für die
Dumpfbacken in Springerstiefeln hat er sich hingegeben.
Oder gerade für sie.
- Simon, der Gastgeber Jesu, ist überzeugt, dass es die Noblesse der
eigenen Überzeugungen ist und sein rechtschaffendes
Leben, das ihn vor Gott liebenswert macht. Er denkt darin wie wohl die
meisten von uns auch.
Paulus aber sagt: "Durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht".
Auf diesem Weg wird man bestenfalls
selbstgerecht. Von der Selbstgerechtigkeit ist es nicht weit
bis zur der Verachtung für das "Nazi-Pack", das weg gesperrt
werden sollte. Die Grenze mag unscheinbar sein. Der Zorn mag berechtigt
sein. Gott aber denkt anders. Gott hasst die
Sünde und vermag dennoch den Menschen zu lieben. Und von Gott allein
kommt uns Heil. Amen.