Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest des Hl. Martin von Tour 2020 (Lukas 17, 11-19)

Zurück zur Übersicht von: 11. November: Martin

11. November 2020 - Aloisiuskolleg Bonn-Bad Godesberg (Schülergottesdienst)

1. Einer dankt

  • Dass ich letzten Samstag mein Fahrrad repariert habe, war definitiv kein großes Ereignis. Ich hatte einen Platten. Das kostet etwas Arbeit. Danach läuft das Ding wieder. Es ist nichts, um das man Aufhebens machen müsste, weil es nur eine Maschine ist. Natürlich kann man sich hinstellen, und für einen Moment die Kunst der Ingenieure bewundern, die das Fahrrad entworfen haben, aber das klingt bereits etwas schräg. Wenn eine Maschine kaputt ist, kann man sie reparieren oder tauscht sie aus.
  • Das ist der Unterschied zum Menschen. Wenn wir krank sind, dann ist das ein Einschnitt, weil auch unsere Beziehungen davon betroffen sind. Es ist nicht einfach nur ein „nicht funktionieren“, sondern es isoliert uns von anderen Menschen, es beschränkt uns in der Möglichkeit, wir selbst zu sein, es ist eine Einschränkung von Leben. Gerade Menschen, die eine schwere Krankheit erlebt haben, wissen deswegen, dass mit der Heilung nicht einfach alles so ist wie davor, sondern sich etwas wesentlich verändert hat, das Leben hat eine ganz andere Präsenz, dort wo es in Gefahr war.
  • Deswegen wundert es Jesus so sehr, dass von den zehn, die geheilt wurden, nur einer auf die Idee kam zurückzukehren und Gott zu danken. Nur bei diesem einen spricht er davon, dass das Vertrauen, das er hat, die eigentliche Quelle der Heilung ist. Die Beziehung zu Gott, die er hat, ist die Quelle des Lebens für ihn. Er kehrt nicht einfach in einen Alltag vor der Krankheit zurück, wie eine Maschine die kaputt war und wieder repariert wurde, sondern hat sich als Mensch verändert, geht anders auf andere Menschen zu, hat eine Erfahrung davon gemacht, dass diese Welt größer ist und Gott in ihr gegenwärtig.

2. Martin

  • Von Martin von Tour kennt vermutlich jeder die Geschichte mit dem halben Mantel. Zugegeben, sie ist gut inszeniert und lässt sich gut erzählen. Aber man vergisst darüber vielleicht, wer dieser Martin war.
    Er stammte aus einer römischen Familie, geboren im heutigen Ungarn, hat in verschiedenen Teilen nördlich der Alpen, im heutigen Deutschland und Frankreich gelebt. Er war der Sohn eines römischen Offiziers. Damit hatte er keine Wahl, sondern musste mit 15 Jahren in die kaiserliche Armee eintreten. Das war für Martin ein Problem, denn schon als Jugendlicher hatte er begonnen, sich dem christlichen Glauben zu nähern und war ihm bewusst geworden, dass er das nicht vereinbaren kann mit einem Dienst für diesen Kaiser. Aber die Rechtslage war klar. Als Offiziers-Sohn musste er 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert, Dienst tun im Militär. Mit 15 Jahren wurde er eingezogen – das ist ziemlich genau das Alter, in dem die meisten von euch heute sind.
  • Uns ist eine Szene überliefert, in der deutlich wird, dass Martin nicht Soldat sein wollte. Sie spielt in der Nähe des heutigen Worms. Damals standen die Römer einem Heer der Germanen gegenüber. Martin wollte nicht kämpfen, denn er war im Begriff getauft zu werden. Darauf haben ihm die anderen Soldaten vorgeworfen, er würde sich nur aus Angst vor der Schlacht drücken. Daraufhin, so sagt die Legende, habe sich Martin ohne Waffen dem Feind entgegengestellt – der auch tatsächlich sofort voll Schrecken umgekehrt und geflohen sei. Das klingt so sehr nach Legende, das ist es das ziemlich sicher ist. Es könnte aber auch sein, dass dieses Ereignis just in dem Augenblick spielt, als – historisch belegt – den Germanen die Hunnen von Osten her in den Rücken gefallen sind und sie deswegen von den Römern ablassen mussten. Meine Erfahrung mit dem lieben Gott ist, dass er hinreichend Humor hat, um seinen Heiligen eine solche Szene zu schenken. (Allerdings müssten dann ein paar Hunnen die Germanen schon vor dem großen Einfall 375 getriezt haben.) Worum es mir nur geht ist: Es wird deutlich, dass Martin aus einer Rolle als Soldat auf hohem Ross rauswollte; innerlich war er ein anderer.
  • Das war dieser Martin, der als römischer Offizier hoch zu Ross am Stadttor von Amiens einem frierenden Bettler begegnet, dem er seinen halben Mantel schenkt. In dem Augenblick hat Martin nicht große Theorien über Gott und den Glauben im Kopf gehabt, sondern den Frierenden gesehen und ihm die Hälfte seines Mantels gegeben. Der leuchtend rote Mantel hat zur Hälfte gereicht, um einen Mann zu wärmen, die zweite Hälfte war nur dazu da, Eindruck zu schinden. Martin hat das getan, was er in der Situation für richtig hielt. Er hat etwas geheilt, das krank war, er hat eine Ungerechtigkeit gesehen und das getan, was er tun konnte. Er hat etwas „repariert“. Aber es war eben nicht deine Maschine, sondern die Beziehung zwischen Menschen, die durch die Ungerechtigkeit der Armut ins Ungleichgewicht geraten war.
    Martin erzählt, in der Nacht darauf sei ihm Christus im Traum begegnet, bekleidet mit dem halben Mantel. Also erst nachträglich ist Martin etwas bewusst geworden. In diesem kleinen, eigentlich unbedeutenden Ereignis am Stadttor ist ihm nachträglich die ganze Größe des Universums aufgegangen. Der allmächtige Gott wurde bekleidet, der Gott, der Mensch geworden ist, damit im alltäglichen des Menschen die Größe der Liebe Gottes erscheinen kann. Am Stadttor von Amiens ist keine Maschine repariert worden, sondern hat sich eine Welt verändert.

3. Corona und Quarantäne

  • Gestern und heute ist eine ganze Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus 14 Tagen Quarantäne zurückgekehrt. Darunter auch der eine Schüler, der positiv an Corona erkrankt war und das auch deutlich gespürt hatte. Die Mediziner wissen noch nicht, wie die Langzeitfolgen dieser Viruserkrankung sind. Aber wir sollten es wissen; die Betroffenen sollten es wissen; diejenigen, die zwar nicht krank waren, aber 14 Tage in Isolation und Quarantäne leben mussten, sollten es wissen.
  • Denn man kann diese Krankheit natürlich behandeln wie eine Maschine, die kaputtgegangen war, und jetzt wieder funktioniert. Man kann so tun, als müsste alles wieder weitergehen, wie es davor war. Damit ist aber all das ausgeblendet, was die Betroffenen in diesen zwei Wochen erlebt haben. Es macht einen großen Unterschied, dass diese Gruppe von den anderen für zwei Wochen getrennt war. Es wäre schade, wenn niemand auf sie zugeht, und fragt wie es Ihnen geht, was sie erlebt haben, wie es war, im eigenen Zimmer eingesperrt zu sein. Sie brauchen keinen Mantel, den man mit ihnen teilt, sondern Aufmerksamkeit und Sorge.
  • In solchem aufmerksamen Nachfragen geschieht nichts Großartiges. Es ist eigentlich eine selbstverständliche Kleinigkeit. Aber gerade, wenn es nicht geschähe, weil sich niemand für dich interessiert, wird deutlich, dass es doch keine Kleinigkeit ist, sondern von einer lebendigen Beziehung zeugt.
    Dort wo Menschen aufeinander zugehen, geschieht etwas Wichtiges, das vielleicht erst einen Traum braucht, bevor das deutlich wird. In dem kleinen Ereignis erschließt sich die Welt der Liebe Gottes, für den, der zu träumen vermag. Man kann das Ende der Isolation und das Ende der Erkrankung an dem Virus selbstverständlich nehmen. Problem gelöst, zurück zum Alltag.
    Vielleicht gibt es aber unter uns auch mehr als nur einen von zehn, die erfahren, wie großartig Dankbarkeit ist, denn darin geht die ganze Welt Gottes auf. Amen