Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 10. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Markus)

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10. Juni 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Krieg in der Kirche

  • In der Katholischen Kirche herrscht Krieg. Fänden wir diese Überschrift in einer Zeitung, würden wir das für übertrieben halten. Aber es gibt sehr wohl Auseinandersetzungen auf mancher Ebene unserer Kirche, die nicht gerade friedlich sind. Damit meine ich nicht die beschämenden Intrigen, die im Vatikan zwar eine Jahrhunderte alte Tradition haben, aber überwunden geglaubt waren. Vielmehr meine ich ideologische Auseinandersetzungen, die von manchen Gruppen geführt, aber von manchen Bischöfen scheinbar wohlwollend gefördert und gerne instrumentalisiert werden. Wer einschlägige Internetforen liest, weiß dass da mit Verleumdung und Hass nicht gegeizt wird. Manche sehen z.B. in der Kampagne gegen die Beteiligung von Bistümern an der Verlagsgesellschaft Weltbild den Testlauf von konservativen Aktivisten, um moderate Bischöfe in die Enge zu treiben.
  • Von all dem bekommen wir in Hamburg zum Glück - noch - wenig mit. Wer sich aber mit Kirchengeschichte beschäftigt, weiß, dass es in der katholischen Kirche keineswegs immer christlich zugeht. Das Katholische an diesen Konflikten ist lediglich, dass sie auch im Weltmaßstab geführt werden und nicht nur in der Gemeinde vor Ort. Auf jeden Fall ist die Realität solcher Konflikte Grund genug, genau hinzusehen, was uns das Evangelium für solche Situationen an die Hand gibt
  • Die Struktur solcher Konflikte findet sich auch keineswegs nur in der Kirche. Wo immer es Familien, Gruppen oder Institutionen gibt, dort kann es vorkommen, dass Einzelne sich mit der Gewalt ihrer Gruppe konfrontiert sehen, wenn sie Missstände beim Namen nennen oder notwendige Reformen gegen überkommene Interessen anstoßen. Jesus selbst hat das erlebt und die Evangelien haben das mit präzisem Blick für Zusammenhänge festgehalten. Das heutige Evangelium beschreibt die zwei Grundtypen, wie mit ihm umgegangen wurde: Verteufelung oder Vereinnahmung.

2. Verteufelt

  • Die Strategie 'Verteufelung' wird im Mittelteil des heutigen Evangeliums geschildert. Eine Delegation Gelehrter kommt aus Jerusalem und verkündet das Urteil über Jesus: "Mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus." Man braucht sich gar nicht in die komplizierte Frage vertiefen, was im damaligen Weltbild mit Dämonen, Beelzebub und dergleichen gemeint war. Es reicht, die Strategie der "Schriftgelehrten" zu sehen.
  • Jesus hatte unleugbar Unheil im Volk Gottes erkannt, aufgedeckt und geheilt. Damit hat er deutlich gemacht, dass möglich ist, was den Autoritäten unmöglich war. Deswegen müssen sie ihn verteufeln, weil sie ihm sonst zugestehen müssten, dass er in der Kraft Gottes handelt. Die Strategie besteht darin, Jesus selbst zum Dämonen zu erklären und damit aus dem Volk Gottes auszugrenzen, um sich nicht inhaltlich der Auseinandersetzung stellen zu müssen: Wer Unheil in unserem Volk benennt und bekämpft, das wir Schriftgelehrte hingenommen haben, der muss selbst als Unrechtstäter gebrandmarkt werden.
  • Auch ohne dass von Dämonen und Teufeln gesprochen würde, können wir diese Strategie in uns bekannten Strukturen wiederfinden. Wer etwa offen ausspricht, dass die Mutter Alkoholikerin oder der Vater gewalttätig ist, der beschreitet zwar damit den womöglich einzigen Weg zur Heilung. Er kann aber schnell erfahren, dass er deswegen vom Rest der Familie "verteufelt" wird. Er wird als Nestbeschmutzer abgestempelt, ihm werden unlautere Motive unterstellt, es folgt eine Welle von Gegenvorwürfen oder er wird einfach mit erbarmungslosem Schweigen überzogen. Vergleichbares kann es nicht nur in Familien geben, sondern in jeder Form von sozialer Gruppe, auch der Kirche.
  • Jesus reagiert scharf. Er lässt sich nicht ausgrenzen. Er zitiert die Schriftgelehrten herbei ("Da rief er sie zu sich"). Er macht deutlich, dass diese Strategie bedeutet, dass der Verantwortliche "den Heiligen Geist lästert". Nicht Jesus, der von Dämonen heilt, sondern die, die ihm unterstellen mit den Dämonen im Bunde zu sein, zerstören die Grundlage der Gemeinschaft mit Gott und in seinem Volk. Wer in dieser Haltung verharrt, macht Gott die Vergebung unmöglich und ist unfähig, in Gottes Heiligem Geist zu leben. Gegenüber der Kompromisslosigkeit der Schriftgelehrten ist die Barmherzigkeit machtlos.

3. Vereinnahmt

  • Die andere Strategie mit Jesus umzugehen, rahmt im Evangelium die Konfrontation mit den Schriftgelehrten. Handelnde sind hier die Großfamilie Jesu mit Maria in ihrer Mitte. Der Familie ist es offensichtlich unangenehm, dass Jesus in Freiheit gegenüber der Sippe seinen Weg geht. Sie erklären ihn für verrückt (vornehm übersetzt: "Er ist von Sinnen."). Sie wollen "ihn mit Gewalt zurückzuholen". Mit Maria stehen sie vor dem Haus und wollen ihn "herausrufen".
  • Warum Maria dabei ist, wird mit einer netten Seitenpointe erklärt. Jesu Mutter treibt offensichtlich um, was jeder südländischen Mutter gegenüber ihrem erwachsenen Sohn größte Sorgen macht. Ausdrücklich ist dies am Anfang des Abschnitts benannt, dass wegen der vielen Arbeit "er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten". Maria reagiert schlicht als fürsorgliche - oder überfürsorgliche - Mutter: Wenn der Junge nicht mehr richtig zu essen bekommt, dann muss er nach Hause geholt werden, notfalls "mit Gewalt".
  • Aber auch Maria muss lernen - und lernen-müssen ist keine Sünde! -, dass selbst die heiligste Familie sich nicht auf Abstammung und selbstverständliche soziale Strukturen berufen kann. Jesus lässt sich nicht aus dem Kreis seiner Jünger herausrufen, sondern lässt seine Sippe vor der Tür stehen und lässt ihnen ausrichten: "Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter."
  • Die Strategie der Vereinnahmung läuft letztlich auf das Gleiche hinaus wie die Verteufelung: Jesus, der Krankheiten heilt und Dämonen besiegt, soll aufhören zu stören. Er soll es der Sippe und seiner Mutter überlassen, für ihn zu sorgen. Jesus hat kein Problem, für sich sorgen zu lassen. Aber wer für ihn "Bruder und Schwester und Mutter" ist, misst sich allein daran, "wer den Willen Gottes erfüllt". Von Gott allein lässt sich Jesus vereinnahmen; Gott allein ist für ihn Vater, und der vereinnahmt nicht in Sippenstrukturen, auch nicht in Kirchenstrukturen, sondern beruft zur Nachfolge. Amen.